© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Vor-Ort-Recherche sollen die anderen machen
ARD: Bekenntnisse eines Brüssel-Reporters werfen einen erhellenden Blick in die Arbeitsweise der Öffentlich-Rechtlichen
Ronald Berthold

Das Korrespondentennetz der öffentlich-rechtlichen Sender gilt als eines der Hauptargumente für die Gebühren. Doch wie recherchieren diese Journalisten? Einen freimütigen Einblick in seine Arbeitsmethoden lieferte nun der ARD-Radiomann aus Brüssel, Sebastian Schöbel. Motto seiner Berichterstattung nach den Terroranschlägen könnte sein: Warten, was die anderen herausfinden, und dann einfach übernehmen.

Schöbel schreibt ausgerechnet auf der Seite der Electronic Media School, die er absolviert hat: „Gleich vorweg: Ich war an keinem einzigen Anschlagsort, auch nicht an der U-Bahn-Station Maelbeek (obwohl die direkt um die Ecke vom Studio liegt). Ich habe das Studio nur verlassen, um nach Hause zu fahren. Tatsächlich habe ich den Schrecken von Brüssel ausschließlich digital erlebt, im Internet beziehungsweise im Fernsehen.“

Seine Abstinenz erklärt Schöbel damit, vor allem beschäftigt gewesen zu sein, seinen Anstalten Interviews zu geben. Für Vor-Ort-Recherchen blieb keine Zeit. Außerdem hätten die ARD-Kollegen in Deutschland entschieden, nicht zu den Anschlagsorten zu fahren, um sich nicht in Gefahr zu begeben und wohl „um uns den Anblick zu ersparen“. Einst galt: Ohne Anblick keine Reportage. Sonst könne das auch ein Journalist in der Zentrale machen.

Schöbel schreibt, er habe nur Twitter und die Liveticker der belgischen, britischen und amerikanischen Medien verfolgen müssen, um auf den neuesten Stand zu kommen. Mit eigenen Anfragen wollte er niemanden belästigen: „Die gesamte offizielle Kommunikation würde zusammenbrechen, wenn alle Medienvertreter in Brüssel zum Beispiel  die Staatsanwaltschaft anrufen, um Fragen zu stellen, oder die (ohnehin vollen) Pressekonferenzen besuchen würden.“

Journalistenschulen lehrten früher, Eindrücke vom Ort des Geschehens seien für Reporter unabdingbar. Heute ist das bei der ARD genauso Schnee von gestern wie das Einholen von O-Tönen. Die „gab es genug“ – bei anderen Medien. Einfach klauen, fertig ist der ARD-Bericht.