© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Der Flaneur
Schloß und Bierkasten
Albrecht Klötzner

Das Schloß ist übrigens fast fertig“, sagte neulich ein befreundeter Bauunternehmer, den ich heimsuchte, um bei Bier zu politisieren. Das Schloß, ein dreiflügeliger Klassizismus-Bau aus dem 17. Jahrhundert, steht oberhalb des Elbtals. Jahrzehnte tropften Mauern, vermüllten Gräben. Oft fotografierte ich den Verfall. „Komm, wir gucken mal“, sagte ich, stellte die Bierflasche auf den alten Küchentisch und stand auf. Es sind nur wenige Gehminuten.

Das Ergebnis konnte sich tatsächlich sehen lassen. Denkmalgerecht strahlten die vormals nassen Mauern nun in barocküblichem Ocker. Das Dach wie neu, Schleppgauben, Biberschwanz-Ziegel, Guß-Spitzen auf den Türmchen. Hier hatte jemand nicht nur Geld, sondern auch Liebe zur Geschichte investiert – dachte ich.

Denn mein Freund maulte sofort los: „Sieht gut aus – ja! Oberflächlich. Drunter ist Pfusch! Unterspannbahnen nicht richtig gezogen, die Dachrinnen so klein, daß sie bei Starkregen überlaufen. Und guck mal hier, die Fensterbleche hören am Mauerwerk auf, statt unter die Faschen zu reichen. Die künftigen Eigentümer, die hier eine Wohnung kaufen, haben vielleicht fünf Jahre Ruhe, dann macht sich der Pfusch bemerkbar. Wahrscheinlich dann, wenn die Gewährleistung abgelaufen ist.“

Auf dem Heimweg   denke ich, ob es manchmal nicht besser ist, weniger zu wissen.

Der Bauunternehmer hatte gesprochen! Ich polterte dagegen: „Aber das Schloß ist gerettet. Künftige Reparaturen sind bei jedem sanierten Altbau normal. Und es sieht gut aus. Sei froh, daß jemand in solch alten Kästen Geld versenkt.“ Er lachte zurück: „Die machen hier fett Kohle. Drei- bis viertausend Euro kostet der Quadratmeter. Die Hälfte davon wurde verbaut. Pro Quadratmeter!“ „Dennoch“, höre ich mich erwidern. „Besser nicht so perfekt saniert, aber ein Stück Geschichte gerettet.“

Zurück am Bierkasten diskutierten wir weiter. Auf dem Heimweg geistert die Frage durch mein Hirn, ob es manchmal nicht besser ist, weniger zu wissen.