© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Ein „Rebell“ auf Abwegen
Kriminalität: In Düsseldorf steht der Mann vor Gericht, der im Wahlkampf die jetzige Kölner Oberbürgermeisterin niedergestochen hat
Hinrich Rohbohm

Mit einem Aktenordner vor dem Gesicht betritt Frank S. den Saal des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Er will sich damit vor den zahlreichen auf ihn wartenden Fotojournalisten schützen. Auf der Schmalseite des Ordners klebt das Bild von „Braveheart“-Darsteller Mel Gibson, der in dem Film die Rolle des schottischen Widerstandskämpfers William Wallace spielte. Eine politische Botschaft? Ebenfalls klebt auf dem Ordner eine Postkarte mit dem Bild eines Kleinkindes, das die Faust ballt. „Ich hasse Sandburgen“ steht darauf geschrieben.

Haß dürfte für den 44 Jahre alten Angeklagten eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, als er am 17. Oktober vorigen Jahres an einem Wahlkampfstand in Köln-Braunsfeld auf die heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker eingestochen und im Anschluß vier weitere Personen verletzt hatte.

Gut 50 Journalisten sind zum Prozeß erschienen, der in einem Hochsicherheitstrakt stattfindet. Hohe Metallgitterzäune umschließen das Gerichtsgebäude. Ein Drehkreuz dient als Eingang, vor dem sich vor Prozeßbeginn eine Schlange bildet. Im Saal 1 des Gebäudes sind die Zuhörer durch eine Glasscheibe von den Prozeßbeteiligten getrennt. Ein weiteres Glasgehäuse ist für den Angeklagten bestimmt. Frank S. nimmt dort zunächst Platz, darf sich aber auf Anordnung der Vorsitzenden Richterin Barbara Havliza zu seinen zwei Verteidigern Christof Miseré und und Jasper Marten setzen. „Wir haben keine Trennscheibenanordnung. Es ist kein Verfahren mit terroristischem Hintergrund“, erklärt die Richterin.

Als die Fotografen den Raum verlassen haben, kommt ein Mann mit Glatze sowie kleinem Oberlippen- und Kinnbart hinter dem Ordner zum Vorschein. Er trägt ein blau-weißes Karo-Oberhemd. Den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, verfolgt er mit regungslosem Gesichtsausdruck die Verlesung der Anklage.

Frank S. habe verhindern wollen, daß Henriette Reker zur Oberbürgermeisterin gewählt wird, erklärt Bundesanwalt Lars Otte. Die Anklage legt S. versuchten Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen zur Last. Der Beschuldigte habe Henriette Reker als „mitverantwortlich für die nach seiner Auffassung verfehlte Politik in Deutschland“ angesehen. Reker war zur Tatzeit als Kölner Beigeordnete für Soziales, Integration und Umwelt tätig. „Sie repräsentierte diese Politik, gegen die er ein Zeichen setzen wollte.“

Doch habe der Angeklagte die heutige Oberbürgermeisterin tatsächlich töten wollen? Genau das stellt die Verteidigung in Frage, geht von einer gefährlichen Körperverletzung aus. Ihre Argumentation: Hätte S. sein Opfer wirklich umbringen wollen, hätte er weiter auf Reker einstechen können. Stattdessen habe er von der Geschädigten abgelassen, nachdem er ihr ein Bowiemesser mit einer Klingenlänge von 30 Zentimetern in den Hals gerammt hatte. Die Verteidigung sieht hierin einen „Rücktritt von der Tötungsabsicht“. „Würde es sich hier nicht um eine Politikerin in einer höheren Position handeln, hätte ich keine Zweifel daran, daß es zu einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung kommen würde“, betont Rechtsanwalt Christof Miseré. S. hatte sich vor seiner Tat im Internet über Rekers Termine informiert. Am Wahlkampfstand bat er sie um eine Rose. Dann stach er zu, bohrte seinem Opfer das Messer zehn Zentimeter tief in den Hals. Anschließend stach er mit einem Butterfly-Messer wahllos auf Umstehende ein. Henriette Reker schwebte in Lebensgefahr, ihre Luftröhre war durch die Attacke fast vollständig durchtrennt.

Daß Frank S. der rechtsextremen Szene in Bonn angehörte, bestätigt er vor Gericht selbst. Das begann in den neunziger Jahren, als er nach Bonn gezogen war. „Ins Ghetto“, wie er sagt. Dort sei angesichts des hohen Migrantenanteils er der Ausländer gewesen. „Da war ich auch in der rechten Szene gewesen“, sagt er. Ein „Nazi“ hingegen sei er nicht, vielmehr ein „konservativer Rebell“. Ein an die Öffentlichkeit geratenes privates Foto aus seiner Wohnung zeigt den vorgeblich „Konservativen“ in einer weit weniger konservativen Pose. Mit Mütze und nacktem, von Tätowierungen übersätem Oberkörper. Eine Tätowierung ist die Inschrift „Berserker Bonn“, die S. zufolge mehrere Aktivisten der rechtsextremen Szene trugen.

Keine Anhaltspunkte für eine Tätigkeit als V-Mann

Der Angeklagte ist vorbestraft. Seine Strafe, 37 Monate, hat er abgesessen. Mehrfache Schlägereien im Milieu waren der Grund für die Verurteilung. Scharmützel zwischen Rechtsextremisten und der linksextremistischen Antifa, die ihn gejagt habe, weil er in der rechtsextremen Szene bekannt gewesen sei. Das seien „schwerstkriminelle Schlägertrupps“ gewesen.

Über Mitschüler sei er in die Szene geraten. „Die waren ja auch alle rebellisch“, sagt er. Auch zur verbotenen rechtsextremen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) habe es Kontakte gegeben. Aber: „Die waren mir doch etwas zu rückwärtsgewandt.“ Zuvor sei er ein Linker gewesen. Daß er auch als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet haben könnte, wird hingegen von der Bundesanwaltschaft nicht bestätigt. „Wir haben dafür keinerlei Anhaltspunkte. Er hatte allein gehandelt“, entgegnete die Anklage auf diesbezügliche Fragen der Presse.

Sollte S. wegen versuchten Mordes verurteilt werden, droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der Prozeß wird voraussichtlich bis Ende Juni andauern.