© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Bayerns bäuerlicher Weg in die Moderne: Katholischer Antiklerikalismus
Konservativ auch ohne Herrn Pfarrer
(ob)

Als eines der größten katholischen Territorien im Alten Reich galt Kurbayern seit dem aufgeklärten 18. Jahrhundert als „Kernland des deutschen Katholizismus“. Später erfolgte daher die Gleichsetzung Bayerns mit katholisch-ländlicher Rückständigkeit, zugleich aber die Verklärung traditioneller, naturverbundener Lebensformen als Antwort auf soziale Probleme der Industriegesellschaft. Bis in die Gegenwart, so glaubt der Regensburger Historiker Johann Kirchinger, halte sich dieses Zerrbild vom antimodernen Kartell von Ultramontanismus und Agrargesellschaft. In einer Mikrostudie zum „Gergweiser Kirchenstreit“ kann er indes nachweisen, daß die Macht dieses Kartells zumindest im Raum Passau spätestens in den 1890ern gebrochen war (Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 2/2015). 1893 wurde im Konflikt um die Agrarzölle der Bayerische Bauernbund gegründet, eine „wirtschaftsegoistische, antiklerikale Protestpartei“. Sie versprach, die in der Zentrumspartei übliche Unterordnung landwirtschaftlicher unter kirchliche Belange zu beenden. Was auf starke Resonanz stieß, wie ihre Wahlerfolge im stockkatholischen Milieu bewiesen. Ins Raster der „Bielefelder Schule“ passe dieses Phänomen nicht, so daß Kirchinger aus den Widersprüchen dieses bäuerlichen Antiklerikalismus ein eigenständiges Verhältnis zur Moderne abzuleiten versucht. 


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