© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Der Großfürst trägt Blaumann
FDP: Auf ihrem Parteitag in Berlin bringen sich die Liberalen für den geplanten Wiedereinzug in den Bundestag in Stimmung
Hinrich Rohbohm

Der Ort wirkt rustikal. Doch auf dem harten grauen Betonfußboden stehen wohlbeleibte Parteifunktionäre mit Krawatten, schwarzen Schuhen und dunklen Anzügen. Dicke Rohre durchziehen die fabrikartigen Hallen der „Station“, Veranstaltungsort des 67. ordentlichen FDP-Bundesparteitags in Berlin-Kreuzberg. 

Einst fuhren von hier Züge Richtung Dresden und Prag ab. Heute will die FDP hier am Gleisdreieck die Weichen für den Wiedereinzug ins Parlament stellen. Parteichef Christian Lindner macht in seiner Rede vor den Delegierten schnell klar: Es wird eine andere FDP sein, die ihre Rückkehr auf die bundespolitische Bühne anstrebt. Linksliberaler, großstädtischer, nicht mehr ein selbstverständlicher Partner der CDU.

Der Tagungsort mag nach Arbeit aussehen. Doch Lindners Rede klingt trotz Blaumann-Ambiente schon wieder stark nach Großfürstengehabe, das die Liberalen bei ihrem Höhenflug 2009 zur Schau stellten, als sie Pressevertreter auf ihrem Parteitag pompös im Maharadscha-Palast des Hannoveraner Zoos zum Empfang baten. „Die Zeit der Leihstimmen ist vorbei“, ruft er in die Halle und erntet starken Applaus. Dann legt der 37jährige nach. „Eine schwarz-gelbe Mehrheit bedeutet nicht mehr, daß es auch eine schwarz-gelbe Koalition gibt.“ Noch stärkerer Beifall, der auch aufbrandet, als Lindner die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz als „verantwortungsvolle Tat“ anpreist. Die ebenso erfolgte Absage einer Ampel in Baden-Württemberg findet hingegen nur wenig Zustimmung.  „Wenn das in Rheinland-Pfalz geht, dann kann das auch in Baden-Württemberg gehen. Oder man lehnt beides ab. Aber hier ja und da wieder nein ist inkonsequent“, sagt ein Delegierter aus Schleswig-Holstein der JUNGEN FREIHEIT.

Unter den FDP-Mitgliedern in der Halle zeigen sich dennoch viele begeistert von ihrem Vorsitzenden. „Reden kann er, wenn er auch umsetzt, was er sagt, kann er ein Großer werden“, raunt ein NRW-Delegierter seinem Nebenmann während der Rede Lindners zu.

Auf die Christdemokraten sind viele hier nicht mehr gut zu sprechen. „Daß sind doch inzwischen auch Sozialdemokraten. Dann können wir auch gleich mit dem Original koalieren“, meint einer. 

„Wir kommen mit diesem Beta-Quatsch“ 

Lindner schlägt genüßlich in diese Kerbe, verweist auf die jüngste Aussage Gregor Gysis, wonach ein Bündnis zwischen CDU und Linkspartei für die Zukunft möglich sei. „Wenn Gysi bei der CDU rot sieht, dann nützt es auch nichts, wenn sich Horst Seehofer über die CDU schwarz ärgert.“ Im Plenum bricht Gelächter aus. „Wir haben keine Regierung, sondern eine Reagierung.“ Diese würde den brennenden aktuellen Themen nur noch hinterherlaufen. Lindner spielt auf die zeitgleich stattfindende Klausurtagung der Großen Koalition im Europapark Rust an. „Politik zwischen Achterbahn und Geisterbahn, besser kann man den Zustand dieser Koalition nicht beschreiben.“ Die Rente habe Schwarz-Rot „nicht sicher, sondern unsicher“ gemacht.

Gleich zu Beginn seiner Rede erteilt Lindner „Rechtspopulismus“ und Kritikern der sogenannten „Euro-Rettungspolitik“ eine klare Absage. Davon habe man sich immer distanziert und sei damit gut beraten gewesen. Die gegenwärtige Zuwanderungskrise spielt auf dem Parteitag nicht die zentrale Rolle. „Beta Republik Deutschland“ lautet vielmehr der Slogan der Liberalen. Beta, das sei nicht nur das Entwicklungsstadium einer Software, sondern auch eine Lebenseinstellung, die für Offenheit sowie Risiko- und Innovationsbereitschaft stehe, erklärt der Vorsitzende. Der Beifall ist jetzt verhaltener. Ein gutes Dutzend Delegierte haben das Plenum verlassen und sich ins Foyer verdrückt, wo Lobbyfirmen der FDP trotz Bundestagsabstinenz mit ihren Werbeständen die Treue halten.

„Alle reden von der Flüchtlingskrise und wir kommen mit diesem Beta-Quatsch“, schimpft einer von ihnen. Ein Vertreter aus dem Landesverband Thüringen sekundiert: „Das Flüchtlingsthema bewegt die Menschen momentan mehr als alles andere, und wir überlassen es der Konkurrenz.“ Daß nicht jeder mit Lindners Kurs zufrieden ist in der FDP, sei „ja kein Geheimnis“, sagt der Mann. „Aber ich sehe aktuell niemanden, der ihm rhetorisch das Wasser reichen könnte“. Gleichwohl drohe die FDP sich ein weiteres Mal selbst zu schlagen, wenn sie Zuwanderungs- und Eurokrise weiter ignoriere. „Wären wir da entschlossener gewesen, hätten wir heute schon zweistellige Umfragewerte“, ist zumindest die kleine FDP-Runde im Foyer überzeugt.