© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Pankraz,
Uwe Krüger und der mediale Mainstream

Von der Meinungsmacht zum medialen Mainstream. „Meinungsmacht“ war der Titel des ersten Buches des Leipziger Medienwissenschaftlers Uwe Krüger, das 2013 erschien und ziemliches Aufsehen erregte, weil es die institutionellen und finanziellen Verstrickungen journalistischer „Alphatiere“ mit den politisch Mächtigen ungeniert offenlegte. Jetzt ist – im Münchner C. H.

Beck Verlag – Krügers zweites Buch erschienen. Es heißt „Mainstream“ (Untertitel: „Warum wir den Medien nicht mehr trauen“) und ist nur halb so dick und höchstens ein Viertel so aufregend wie das erste.

Warum wir den Medien nicht mehr trauen – darüber ist in den letzten Jahren mit äußerster Aufregung und äußerstem Grimm geredet worden. Es erschienen Bücher, etwa von Udo Ulfkotte, mit haarsträubenden, bis ins letzte Detail belegten Beispielen journalistischer Abhängigkeit und Korruption, das Wort „Lügenpresse“ wurde geradezu zum Schlüsselbegriff der aktuellen Situation. Dagegen nimmt sich Krügers Bändchen „Mainstream“ fast wie ein Kuchenstreusel aus. 

Trotzdem ist es keine uninteressante Edition. Der Autor nimmt nichts von seinen Behauptungen aus dem ersten Buch zurück, nur seine Perspektive hat gewechselt: weg von den Alphatieren, hin zum medialen „Prekariat“, zu all den vielen Kabelträgern und Meinungsvermehrern also, die in aller Biederkeit ihren Job verrichten wollen. Dieser „mediale Mainstream“, legt Krüger nahe, sei heute das eigentliche Problem, wenn es um Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt gehe.


Der dramatische Auflagenrückgang bei den Printmedien, bei Bild und Welt, FAZ, Spiegel und anderswo, verschärfe flächendeckend die soziale Lage des medialen Mainstreams und schwäche den Formulierungsmut seiner Angehörigen. Überall würden Stellen gestrichen, freie Autoren immer weniger eingesetzt, und die Anforderungen an jeden einzelnen stiegen rapide. Korrespondenten von Krisenherden müßten in immer schnellerem Takt berichten, es bleibe einfach keine Zeit mehr für eigene Recherche, geschweige für eigene Meinungen.

Statt vor Ort Besuche vorzunehmen, schalte man lieber das lokale Fernsehprogramm ein. Journalisten würden so zu bloßen „Lieferanten“, müßten sich durch massenhafte Agenturmeldungen und Pressemitteilungen kämpfen und formulierten an den Texten nur noch äußerlich ein bißchen herum. Und immer habe man außer den Klängen vor Ort auch die heimatlichen Redaktionsklänge im Ohr. „Kann ich mit dieser Sache zu Hause Pluspunkte gewinnen?  Oder wird sie zum Vorwand genommen, künftig nur noch  Synergiekräfte walten zu lassen und mich rauszuschmeißen?“

Bei der Berichterstattung zur aktuellen Flüchtlingskrise entdeckt Krüger ein weiteres Moment, das geeignet sei, den „Konformitätsdruck“ auf den medialen Mainstream kräftig zu erhöhen. Es gab da, schreibt er, „gut gemeinte Einseitigkeiten“, über die man sich, gleichsam als Gutmensch zu Gutmensch, von vornherein verständigte. „Es war dies eine Form der wohlwollenden, regierungsgemäßen Berichterstattung, die bestimmte Aspekte der Realität bewußt ausblendete, um fremdenfeindlichen Ressentiments nicht den Boden zu bereiten.“

„Verantwortungsverschwörung“ nennt der Autor diese neuartige Form von Meinungsbildung, eine „Falle“, in der sich viele Journalisten der sogenannten  Leitmedien im Herbst und Winter 2015 verfangen hätten. „Obwohl es nach der Aussetzung des Dublin-Übereinkommens zu einem angeblich länger geplanten ‘informellen Gedankenaustausch’ (so die offizielle Formulierung) am 30. September 2015 zwischen den IntendantInnen aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Bundeskanzleramt kam, bedurfte es zur Verantwortungsverschwörung womöglich gar keiner Absprache.“


Krüger spricht in diesem Zusammenhang, anknüpfend an die berühmte Definition von Elisabeth Noelle-Neumann, auch von einer „politisch-medialen Schweigespirale“. Die Formulierung ist gut, doch sie klingt für Pankraz etwas zu unausweichlich, so als handle es sich da um eine Art Naturgesetz. „Verantwortungsverschwörung“ paßt hier besser, auch wenn es (und gerade weil es) ein Unwort ist, eine contradictio in adjecto. Denn um notwendige und gerechte Verantwortung zu übernehmen, bedarf es keiner Verschwörung. 

Verschwörungen sind – vielleicht von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – schwer kriminell. Verschwörer verabreden sich, um aus dem Hinterhalt heraus und mit roher Gewalt Recht und Ordnung zu Fall zu bringen. Deshalb spricht man ja auch so abfällig von „Verschwörungstheorien“, wenn irgendwelche „Spinner“ oder geborene „Spökenkieker“ längst geklärte historische Vorgänge nachträglich zu wüsten Riesenverschwörungen aufzublasen suchen.

Um hier mit Friedrich  Schiller und seinen Dramen zu kommen: „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ verweist schon im Titel auf Verbrechen, auf simple politische Machtgier und  aus dem Dunkel heraus organisierte Gewalt. Der Rütlischwur im „Wilhelm Tell“ hingegen war nie und nimmer eine Verschwörung, und der Dichter hat ihn auch nicht als solche verstanden. Seine Protagonisten, Wilhelm Fürst, Werner Stauffacher, Arnold von Melchtal, wollten Verantwortung übernehmen, lehnten aber ausdrücklich ab, als Verschwörer bezeichnet zu werden.

Den „Veranwortungsverschwörern“ Uwe Krügers ihrerseits, also den Rundfunkintendanten und Chefredakteuren, die sich in Berlin um die Kanzlerin versammelten, um zusammen mit ihr einen „Meinungskorridor“, also ein Vokabular für die Behandlung der Flüchtlingskrise, festzulegen, ging es ganz offensichtlich einzig um simplen Machterhalt. Persönliche Verantwortung für Volk, Staat und Vaterland wollten sie gewiß nicht übernehmen.

Merke: Nicht der mediale Mainstream, sondern die Alphatiere der Meinungsindustrie, die Erfinder des „Meinungskorridors“, haben die Meinungsfreiheit hierzulande nachhaltig beschädigt.