© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Wagner empfängt seine Inspiration
Kunst, Religion und Handwerk: In Chemnitz verabschiedet sich der Regisseur Michael Heinicke mit einer beeindruckenden Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ in den Ruhestand
Sebastian Hennig

Der Opernregisseur Michael Heinicke hat als künstlerischer Leiter am Theater Chemnitz über fünfzig Inszenierungen auf die Bühne gehoben. Mit seiner Deutung von Richard Wagners „Parsifal“ wurde 1992 das Musiktheater nach der umfassenden Rekonstruktion wiedereröffnet. Den legendären Höhepunkt seiner Tätigkeit bildete um die Jahrtausendwende eine vollständige Inszenierung von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“. Jedes Frühjahr erweist sich Chemnitz mit seinen Wagner-Festspielen als ein sächsisches Bayreuth. Am Schillerplatz warten dann die Busfahrer auf das Ende der Vorstellung, um die angereisten Wagner-Verbände wieder nach Hause zu fahren.

Mit „Die Meistersinger von Nürnberg“ verabschiedet sich Michael Heinicke nun in den Ruhestand. Seine Bildsprache ist dicht und sinnlich und bedarf keines aufgesetzten diskursiven Konzeptes. Aufmerksam für den Gehalt des Werkes, läßt er die verschiedensten Bezüge anklingen.

Die Handlung der Meistersinger hat er in eine Museumsrotunde verlegt. An den Wänden hängen die Gemälde der großen fränkischen Meister Albrecht Dürer und Lucas Cranach und etwas abseits auch Friedrich Overbecks personifizierte Darstellung von „Germania und Italia“. Eine riesige Rollstaffelei ist nur von hinten zu sehen. Davor stehen karge Bänke, zugleich das Kirchengestühl, auf dem dann der Chor Platz nehmen wird.

Ungezwungen changiert dieses Bühnenbild zwischen Handwerk, Kunst und Religion. Das Museum ist ein Tempel und die Werkstatt eine Kirche. Die romantische Kunstreligion, aus der auch Wagners Werk seinen Ausgang nahm, verherrlichte den frommen Fleiß und die handwerkliche Meisterschaft der Künstler.

Dürers Vater war ein Goldschmied. Auch die Maler betrieben handwerklich geführte Werkstätten und waren in der Lukasgilde organisiert. Denn der Evangelist Lukas gilt als der erste Porträtist der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt Wagner, wie ihn der Anblick von Tizians „Mariä Himmelfahrt“ in der Frari-Kirche in Venedig dazu mahnte, die „Meistersinger“ zu vollenden.

Auf der Chemnitzer Bühne ereignet sich diese heilige Inspiration pantomimisch. Zur Ouvertüre betritt ein stummer Wagner in Samtjacke und Barett das Museum, empfängt vor dem Gemälde seine Inspiration und dreht besagte Staffelei zum Publikum. Das Museum ist kein Aufbewahrungsort allein. Es ist ein Tempel der Musen und der Musik. Aus den Besuchern löst sich ein weiß gekleidetes Mädchen mit Schleife im Haar und tritt als inspirierender Engel zum Meister. Die alte Kunst und das frische Leben sind die Inspirationsquellen für das Werk. Das ist deutlich und anrührend.

Verdienste von Genie, Pietät und Fleiß

Die Bildsprache der Inszenierung ist geistvoll ohne jede Ironie. Hier wird nicht mit dem Auge gezwinkert, sondern offen geblickt. Ganz selbstverständlich werden die Verdienste von Genie, Pietät und Fleiß herausgestrichen. Auch werden die Meistersinger nicht als grundsätzlich unempfängliche Pedanten gezeichnet. Gestisch und mimisch sind sie sehr differenziert dargestellt. Mit verschiedener Beleuchtung wird die Bühne je nach Szene mehr als Interieur betont oder mal mehr geöffnet. Auch ohne mechanische Wandlungen und Fahrtechnik wirkt das Bild durch Nischen und Tribünen sehr vielfältig. Es entsteht der Eindruck einer Stabilität mit vielen Facetten, ganz wie es der von Wagner vorgestellten Meisterwelt entspricht.

Lebendig ist die Kunst mit Natur verwachsen. Die Prügelszene am Ende des zweiten Aufzugs wütet fürchterlich. Knüppel, Hobel und Hämmer werden geschwungen. Overbecks Gemälde der verschiedenen Schwestern weist danach ein großes Triangel auf. Noch in die letzten ruhigen Takte hinein rutscht ein Stapel Keilrahmen mit trockenem Krachen zu Boden. Peter Sykora hat aufwendige Kostüme gestaltet. Seine Kleidung ist verbindlich und bezeichnend.

Die ewige deutsche Kunst in Ehren halten

Franz Hawlata ist ein erfahrener Hans Sachs; er hat die Rolle schon 2007 bei den Bayreuther Festspielen in der „Meistersinger“-Inszenierung von Katharina Wagner gesungen. Roman Trekel leiht dem Beckmesser seine sonore Stimme und einen besonders stattlichen Wuchs. Denn dieser Mann bleibt auch im Irrtum eine starke Gestalt. Die Szene der Übergabe des Zettels mit dem Lied zwischen den beiden war selten so komödiantisch zu erleben. In Begleitung ihrer Eltern sitzen einige junge Mädchen im Parkett, die über die offensichtliche Komik kichern. Gerade der sehr lange dritte Akt wird besonders kurzweilig.

Auch die musikalische Umsetzung der Sängersolisten, der Chöre und Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann ist auf hohem Niveau, vielleicht nicht rein makellos, dafür aber völlig störungsfrei, was heutzutage weit mehr bedeutet. Das Terzett von Sachs, Eva (Maraike Schröter), Stolzing (Thomas Piffka) und David (André Riemer) „Selig wie die Sonne“ ist ein echter Höhepunkt. Bis zum Ende bleibt die Aufführung auf dieser Höhe. Musik und Gesang verbinden sich immer wieder zu geradezu chorsinfonischer Pracht.

Dem Frohsinn liegt eine sichere Würde zugrunde. Der lebenslustige Tanz des letzten Bildes zeigt die Lehrbuben in gedeckten Farben mit Blumensträußen an der Jacke. Die Frauen tragen lange schwarze Kleider und blütenweiße Hauben. Die Meistersinger haben sich eine gewirkte Schärpe über die Schulter gelegt. Sie sind verkatert und zerschlagen von der wilden Nacht und ermitteln umständlich die Reihenfolge ihrer Aufstellung.

Nachdem Beckmesser aus Unverständnis versungen hat, springt Walter beherzt auf das Podium unter dem Davidswimpel. Sein Lied bewirkt zunehmend anerkennende Verblüffung bei den biederen Meistern. Sogar Beckmesser, der zunächst von einer Empore aus zugeschaut hat, eilt herbei, um Eva den Kranz zu reichen, daß sie den Sieger damit schmücke. Als dieser dann hochmütig die Meisterehre zurückweist, löst sich Hans Sachs wie ein Racheengel aus der Volksmenge, packt den Ritter an der Brust, wirft ihn gar zu Boden, während er mahnt, die Bemühungen um die ewige deutsche Kunst in Ehren zu halten.

Zuletzt langt er dann nach den Händen von Stolzing und Beckmesser, um den Rivalen Verbundenheit nahezulegen. Der Schuster-Poet erinnert daran, daß die höchsten Spitzen der Kunstpyramide eines festen Fundaments bedürfen, um nicht zu brechen. In dieser kulturpatriotischen Einsicht darf das Stück gipfeln und Hans Sachs als sein Held gefeiert werden.

Auf seiner Flucht aus Dresden bewahrte Richard Wagner 1849 eine Übernachtung bei den Verwandten in Chemnitz vor der Verhaftung. Jetzt bewahrt dort eine Inszenierung sein Werk vor der Auslieferung an verspielte Beliebigkeit. Das Publikum weiß die Botschaft und den Vortrag wohl zu schätzen. Die Vorstellungen sind nahezu ausverkauft. Es gibt nur noch wenige Karten. Der künstlerische Leiter des Hauses hat sich damit einen letzten Kranz aufs Haupt gedrückt.

Die nächsten „Meistersinger“-Vorstellungen am Opernhaus Chemnitz, Theaterplatz 2, finden statt am 1. und 8. Mai jeweils um 15 Uhr. Kartentelefon: 03 71 / 40 00 - 430

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