© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der Historiker Niall Ferguson hat einen neuen Interpretationsansatz für die Politik Obamas geliefert: Der Präsident halte sich für die klügste Person im Raum – in jedem Raum. Möglicherweise halte er sich sogar für die klügste Person, überhaupt, immer.

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Die jungen Männer in Shorts, einer mit herumgedrehtem Basecap auf dem Kopf, ihre Gefährtinnen in sportiver Kleidung, die Hosen hochglänzend, darüber knappe Leibchen, den Blick auf Trägersysteme freigebend, alles eng an den vom Wohlleben strammen Körpern. Man vertilgt, was das Frühstücksbuffet hergibt, mit einer Hand, die andere samt Arm gestützt auf den Tisch oder unter dem Tisch lässig über dem Knie ruhend. Welche Erlösung, wenn man näherkommt und sie sprechen hört: Amerikaner!

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Es ist immer wieder erstaunlich, daß sich Begriffe trotz ihrer Blödheit oder Blindheit sukzessive durchsetzen, sogar bei denen, die als „kluge Köpfe“ gelten; „kulturalistischer Rassismus“ ist so einer. Als der zum ersten Mal in Umlauf kam, ging er noch an seiner eigenen Lächerlichkeit zugrunde. Er war so offenbar aus antifaschistischer Hilflosigkeit geboren, daß man kein weiteres Wort darüber verlieren mußte: Entweder fußt eine Ideologie auf der Annahme fundamentaler Differenz von Kulturen oder auf der Annahme fundamentaler Differenz von Rassen. Die Größen sind nicht deckungsgleich. Wenn aber die Behauptung der fundamentalen Differenz von Kulturen gar nichts anderes ist als die Behauptung der fundamentalen Differenz von Rassen und „Kulturalismus“ mithin nichts anderes als „Rassismus“, kann man sich die Unterscheidung gleich schenken und einfach davon ausgehen, daß der, der überhaupt Differenzen zwischen irgend etwas und irgend jemandem annimmt, per se als Rassist erschlagen gehört.

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Tendenzielle Überforderung: „CDU und CSU müssen sich des ‘C’ in ihrem Parteinamen bewußt sein und aus der Verantwortung vor Gott die Verantwortung für alle Menschen wahrnehmen.“ (Theo Waigel)

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Das, was wir in der großen Politik beobachten, speist sich aus Erfahrungsresistenz.

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Wenn jemand erklärt, daß er nicht in eine Schublade gesteckt werden möchte, darf man sicher sein, daß die Ablage ganz unproblematisch wäre.

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Der Vorgang in einem katholischen Krankenhaus Herfords hat mehr als lokale Bedeutung: Eine Frau, in Burka, wird stationär behandelt, ihr Mann entfernt das Kreuz im Zimmer. Zur Rede gestellt, gibt er zu, daß er Werkzeug mitgebracht habe, um es von der Wand zu bekommen. Seine Rechtfertigung ist ebenso einfach wie dreist: Als Moslem habe er sich durch den Anblick beleidigt gefühlt. Es scheint, daß man mit Hilfe der ganzen Propaganda für „Vielfalt“ und „Zusammenleben“ und „Respekt“ nur eins erreicht hat: eine Atmosphäre, in der Menschen, die entweder Gastrecht genießen oder aber als Vollbürger die geltenden Gesetze – geschriebene wie ungeschriebene – einhalten müßten, meinen, daß sie sich ungestraft solcherart aufführen können.

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Bildungsbericht in loser Folge LXXXVIII: Die Kinder- und Jugendtherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger glaubt, daß eine ganze Generation von Narzißten heranwächst, selbstverliebte, leistungsunwillige, egozentrische Jugendliche. Man könnte die Diagnose abtun mit dem Hinweis darauf, daß sie regelmäßig wiederkehrt. Schon die Aufbaugeneration regte sich über „die Verwöhnten“ auf, die nichts von den Härten der Nachkriegszeit wußten, die Achtundsechziger empörte der NST, der „Neue Sozialisationstypus“, der kein Engagement für gesellschaftliche Veränderung zeigte. Aber es gilt hier wie bei jedem Dekadenzsymptom: die Klage mag in den meisten Fällen unbegründet sein, in dem einen ist sie es nicht.

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Was tatsächlich an die Vorphase von ’68 erinnert, ist die Mischung aus Verstimmtheit und überschießender Aggression auf seiten des Establishments. Da findet man es in erster Linie unglaublich, ungeheuerlich, unfaßbar, daß es jemand wagt … Deshalb die große Mobilmachung, samt Jubelpersern, permanenten Aufrufen zur Wachsamkeit, Wutausbrüchen gegen die geistigen Verderber der Jugend und die Mahnung an den Nachwuchs, keinesfalls mit Schmuddelkindern zu spielen.

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Man könnte Staaten auch danach einteilen, ob Mietwagen als solche kenntlich gemacht werden oder nicht.

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Wenn man sich normalerweise nur im Fachbereich fremdsprachlich bewegt und dann mit den alltäglichen Herausforderungen in einem anderen Land konfrontiert sieht, leistet man innerlich den Lehrern Abbitte, die einen mit Vokabellisten traktierten, auf denen es um so langweilige Dinge wie Kopfschmerz, Handtuch und Gabel ging.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 13. Mai in der JF-Ausgabe 20/16.