© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Das Licht der Normandie
Im Freien malen: Eine sehenswerte Impressionisten-Ausstellung in Paris
Doris Blum

Schöner und stimmiger könnte ein Frühling in Paris gar nicht beginnen: Das Musée Jacquemart-An-dré präsentiert mit fünfzig hochkarätigen Werken aus europäischen und amerikanischen Sammlungen die Ausstellung „Das Atelier im Freien. Die Impressionisten in der Normandie“. In den acht kleinen Kabinetten des Hauses am Boulevard Haussmann muten die thematisch geordneten Ölbilder und Aquarelle in ihren reinen, hellen Farben sehr intim an. Von den Vorläufern wie Corot, Delacroix und Courbet bis zur nachfolgenden aufmüpfigen Avantgarde des 19. Jahrhunderts sind alle dabei: Eugène Boudin, Monet, Degas, Renoir, Pissarro, Sisley, Caillebotte, Berthe Morisot, Eva Gonzales und sogar ein rarer Gauguin, dessen „Hafen von Dieppe“ (1885) ein richtiger Hingucker ist.

„Schon wieder eine Impressionisten-Ausstellung“, könnte man seufzen, aber da gibt es einen neuen Aspekt: Die Schau feiert die Normandie als Wiege der Freiluftmalerei. Bereits um 1820 waren Engländer wie William Turner oder Richard Bonington an die – damals noch recht menschenleere – französische Küste gepilgert, um hier vor dem Motiv in der Natur zu malen. Um die Mitte des Jahrhunderts verändert sich das Leben in der Normandie von Grund auf. Die 1843 eröffnete Eisenbahnlinie Paris-Rouen wird 1847 erweitert und verbindet nun Le Havre mit dem 180 Kilometer entfernten Paris. Fahrtzeit: zwei bis drei Stunden. Das macht aus der ehemals kleinen Hafenstadt ein mondänes Tor zur Welt, kurbelt Kommerz und Tourismus kräftig an.

Grandhotels und Casinos entstehen, Handelsvertretungen lassen sich nieder, noble Sommerfrischler strömen herbei und bevölkern die Promenaden. Maler – begierig auf eine neue Sicht der Welt und eine neue Form, sie wiederzugeben – stellen ihre Staffeleien an die Hafenbecken und Anlegeplätze der Ozeanriesen, an den Strand von Sainte-Adresse und Honfleur, von Dieppe, Fécamp und Cabourg, von Deauville, Trouville und Etretat. Ausgerüstet sind sie mit den soeben auf den Markt gekommenen Tubenfarben, die das Malen im Freien erheblich erleichtern. Die kunstbegeisterten Handelsherren der Region, die mit Baumwolle und Kaffee viel Geld verdienen, sehen das mit Freude und beginnen bald eine rege Sammlertätigkeit, der in Le Havre geborene Olivier Senn (1864–1959) zum Beispiel oder der später in Dresden lebende Oscar Schmitz (1861–1933), der in Le Havre ein Kattun-Kontor gegründet hatte. 

Es ist vor allem das unvergleichliche, in allen Nuancen von Perlmutt schimmernde, rasch wechselnde Licht der Normandie, das die Künstler fesselt, das sie jagen und einfangen wollen. In ihren Bildern wird es zum Hauptdarsteller. Hinreißend sind Boudins Szenen am quirligen Strand von Trouville, wo sich unter bewegtem Himmel die Bourgeoisie dorée von Paris in duftigen Krinolinen tummelt. Ganz anders zeigt sich der Altmeister aus Honfleur und Lehrer von Monet in seinen dramatischen Marinen unter grauen, wolkenschweren Horizonten. Boudin sei wahrhaft der „König der Himmel“, urteilt Corot, und Baudelaire lobt schon 1859 seine „meteorologischen Schönheiten“. 

Auf den Spuren der Impressionisten zieht der Betrachter vorbei an Renoirs bedrohlich anmutender Steilküste von Dieppe, an leuchtenden Seestücken von Monet und seinen wilden Felsenklippen von Etretat. Monets bezauberndes Bild seiner jungen Frau Camille vor aufgepeitschten Meereswellen hat die Art Gallery der Universität Yale auf die Reise geschickt. Romantisch zeigt sich Berthe Morisot. Sie malt ihre Schwester Edna und deren kleine Tochter Jeanne – ganz in Weiß gekleidet und mit Sonnenschirmchen – an der strahlend blauen Mole von Cherbourg. Gustave Caillebotte schließlich, nicht nur Maler, sondern auch nobler Mäzen seiner Impressionisten-Freunde und passionierter Segler, ist mit einer bestürzend-schönen „Meeres-Regatta vor Trouville“ präsent.

Im diesem Sommer kann man all diesen berühmten Künstlern übrigens auf ihren anregenden Streifzügen folgen. In der gesamten Region findet bis zum 26. September das „Festival Normandie Impressionniste“ mit zahlreichen Ausstellungen und einem bunten Kulturprogramm statt (www.normandieimpressioniste.fr).

Die Ausstellung ist bis zum 25. Juli im Pariser Museum Jacquemart-André, 158, Boulevard Haussmann, täglich von 10 bis 18 Uhr, montags bis 20.30 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 196 Seiten kostet 32 Euro. 

 www.musee-jacquemart-andre.com