© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Für ein Ende der Bevormundung
Alina Bronsky und Denise Wilk beklagen die feministische Diskriminierung der Mutterrolle
Friederike Hoffmann-Klein

Die Soziologin Christina Mundlos (Autorin des Buches „Wenn Mutter sein nicht glücklich macht“) unterstellt unserer Gesellschaft in einem Interview in Spiegel Online ein „völlig überfrachtetes Mutterbild“. Als Beispiel dient ihr das Selberbacken. Mütter müßten heute, um gesellschaftlich anerkannt zu sein, viel Zeit und Energie in ihre Kinder investieren – den „aufwendigsten Kuchen backen“ – statt sich um sich selbst kümmern zu können. 

Daß an und für sich harmlose, neutrale Dinge ideologisch aufgeladen werden, kennzeichnet die Diskussion um Mutterschaft und Mutterrolle. Frauen werden in dieser Sichtweise gern als die naiven Opfer einer jahrhundertelangen Tradition dargestellt, die ihnen erst vermittelt habe, daß sie für ihre Familie da sein müßten. Daß Frauen durchaus selbst den Wunsch haben und einen Mittelweg als ihre persönliche Work-Life-Balance erkennen, wird dabei ignoriert. Wohltuend unterscheidet sich das Buch von Alina Bronsky und Denise Wilk „Die Abschaffung der Mutter“ von solchen Stimmen, die hinter einem positiven Mütterverhalten eine „Retraditionalisierung“ wittern. Angenehm wirkt angesichts der oft so aufgeregten Debatte bereits der sehr sachliche, unpolemische Schreibstil der Autorinnen. 

„Der gleichberechtigte Vater arbeitet weniger, die emanzipierte Mutter mehr, aber immer noch nicht genug“ – das ist das derzeitige Credo in Deutschland. Der politische und private Druck auf Frauen, auch bei kleinen Kindern zum Lebensunterhalt beizutragen, wächst. Die Autorinnen sehen in dieser Entwicklung eine Verdrehung des Emanzipationsgedankens, der sich damit gegen die Mutter kehrt: „Aus dem Recht auf Arbeit wird die Pflicht zur Selbstversorgung, auch in jenen Lebensphasen, in denen es einst selbstverständlich war, in der Partnerschaft eine ökonomische Solidargemeinschaft zu bilden.“ Das hat unmittelbare, dramatische Auswirkungen auf die Geburtenrate, weil immer mehr Frauen nach zutreffender Beobachtung der Autorinnen dadurch das Gefühl haben, sich ein Kind „nicht leisten“ zu können. 

Mutterrolle gilt als Verrat an der Gleichberechtigung

Die neue „Mütter-Vollbeschäftigungsideologie“ geht zu Lasten der Frauen. Die Mutter bleibt die Verräterin der Gleichberechtigung. Das Setzen von Prioritäten sei nicht erwünscht. Warum kann man nicht endlich die Tatsache akzeptieren, fordern dagegen die Autorinnen, „daß die Geschlechter einige entscheidende Lebensphasen grundsätzlich verschieden durchleben“. Aber das „Frauen-Bashing“ ist salonfähig geworden. Lebensfremd und feindselig ist nach dem Urteil der Autorinnen der Feminismus einer Bascha Mika, der ehemaligen taz-Chefredakteurin.

Gräben tun sich bei dem Thema plötzlich auf, die jegliche Toleranz zunichte machen, beobachten die Autorinnen. Die Definition der Gleichberechtigung dürfe unter keinen Umständen hinterfragt werden. Und genau das ist der Fehler. Denn eine sachliche Diskussion wird damit verhindert. „Warum fällt es so schwer, anzuerkennen, daß Mütter mit ihren körperlichen, psychischen, zeitlichen und ökonomischen Ressourcen Leben schenken und die Gesellschaft von morgen gestalten?“ lautet ihre berechtigte Frage. Das ist die Kernaussage des Buches und einer der wichtigsten Gesichtspunkte, die man in die heutige gesellschaftliche Diskussion einbringen kann.

Dabei ist es keineswegs die Absicht der Autorinnen, andere Mütter und die Frage, wie sie ihr Leben gestalten, zu bewerten. Aber es geht – und das zu thematisieren ist das große Verdienst ihres Buches – auch um diejenigen Mütter, die sich in unserer Gesellschaft unsichtbar oder lächerlich gemacht fühlen. Die in die Beweislast gedrängt werden, „die jeden Tag aufs neue beweisen müssen, daß sie als die wichtigste Bezugsperson ihres Kindes weder entbehrlich noch ersetzbar sind“. Mütter, die Freude daran haben, für ihre Kinder da zu sein, und das nicht nur nach Feierabend. Doch neben den feministischen Anspruch, der das Ansehen der Mutterrolle schmälert, tritt der ökonomische Druck, der auf Frauen ausgeübt wird. 

Nicht in allem folgen muß man den Autorinnen, wenn sie ausführlich die medizinische Vereinnahmung der Schwangerschaft thematisieren und in einer Hausgeburt und dem Verzicht auf vorgeburtliche Untersuchungen einen Wert an sich sehen. Von größerer Relevanz ist die grundsätzliche Kritik daran, daß Schwangere zu Patientinnen gemacht werden und einen großen Teil der Schwangerschaft in Angst und Schrecken verbringen, weil sie durch dauernde Tests in Atem gehalten werden. 

Man muß  nicht alles, was die Autorinnen als Vorteil der natürlichen Geburt oder gar der Hausgeburt beschreiben, für primär relevant halten. Gleichwohl betreffen die Gedanken, die sich die Autorinnen etwa zur Bedeutung der Hausgeburt oder des Stillens machen, durchaus das Kernthema dieses Buches. Warum, so fragen sie zu Recht, brennen in unserer übersexualisierten Welt ausgerechnet beim Anblick eines friedlich saugenden Kindes die Sicherungen durch? Hier sei zu vermuten, daß auch dies mit dem grundsätzlichen Wert zu tun hat, der eine Mutter beigemessen wird (oder eben nicht). Eine stillende Mutter könnte zu der Erkenntnis führen, „daß die Anwesenheit der Mutter für das Wohl ihrer Kinder wesentlich ist“. Diese Erkenntnis sei heute besonders schwer zu verkraften.

Immer wieder betonen die Autorinnen den körperlichen, psychischen und wirtschaftlichen Einsatz, den Frauen mit Schwangerschaft, Geburt und Erziehung eines Kindes erbringen. Sie fordern eine realistische Beurteilung der Mutterschaft und Wahlfreiheit, die diesen Namen verdient. Der durchweg positive Grundton des Buches kommt auch im Schlußplädoyer zum Ausdruck. Zur Realität gehört es, zur Kenntnis zu nehmen, daß für viele Menschen Elternschaft eine der prägendsten Erfahrungen in ihrem Leben ist. Das sollte – für alle – Grund zur Freude sein, nicht zur Abwertung und Kritik. „Kinder sind keine exotischen Plagen, sondern kreative Gegenwart und hoffnungsvolle Zukunft.“

Alina Bronsky, Denise Wilk: Die Abschaffung der Mutter. Kontrolliert, manipuliert und abkassiert. Warum es so nicht weitergehen darf. DVA, München 2016, gebunden, 17,99 Euro