© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Der Euro wird zur Fessel für die Bürger
EZB-Politik: Drohen nur Zahlungsbeschränkungen oder sogar die komplette Abschaffung von Bargeld?
Dirk Meyer

Im Zuge der Fortentwicklung elektronischer Bezahlmedien und wachsender Interneteinkäufe gewinnt elektronisches Geld (E-Geld) an Bedeutung. Deshalb erscheint manchem Bürger die Diskussion um eine gesetzliche Einschränkung von Bargeldzahlungen oder gar dessen vollständige Abschaffung als vergangenheitsorientiertes Rückzugsgefecht. Doch dem ist keinesfalls so.

Im Gegensatz zum Kreditgeld (Mastercard, Visa) beinhaltet E-Geld keine Kreditfunktion. Voraussetzung ist die Vorauszahlung eines Betrages bei einer Bank oder einem Unternehmen, die oder das eine Gutschrift auf einem Chip (Kartengeld) oder PC (Netzgeld) vornimmt. Neben Geldinstituten bieten auch Händler die Möglichkeit, auf Kundenkarten, die weitere Vorteile wie Rabatte bieten, eine Bezahlfunktion nach Einrichtung eines Guthabens zu nutzen. Damit entspricht es in seiner Funktion der digitalen Form des Bargeldes.

Allerdings fehlt eine wichtige Eigenschaft: die des unbeschränkten gesetzlichen Zahlungsmittels. So heißt es in Artikel 14 Absatz 1 Bundesbankgesetz: „Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel.“ Von daher hat E-Geld eine mindere Qualität, denn für den Gläubiger kann die Begleichung einer Schuld in Bargeld gerade in Krisenzeiten existentiell werden. Als materialisiertes Zahlungsmittel ist Bares jederzeit einsetzbar, Kapitalverkehrskontrollen weniger ausgesetzt und allgemein akzeptiert.

Eine gesetzliche Einschränkung der Bargeldzahlung könnte wegen der Zusicherung des gesetzlichen Zahlungsmittels an Grenzen stoßen. Allerdings hat der europäische Verordnungsgeber diese Möglichkeit bereits berücksichtigt. In der Euro-VO II (974/98) heißt es: „Von den Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung eingeführte Begrenzungen für Zahlungen in Banknoten und Münzen sind mit der den Euro-Banknoten und Euro-Münzen zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels nicht unvereinbar, sofern andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestehen.“ Die Höhe von Bargeldzahlungen ließe sich daher von der Bundesregierung mit der Begründung begrenzen, eine Beschränkung auf 5.000 Euro würde kriminelle Geschäfte und Geldwäsche verhindern, weil so eine bessere Überwachung des Zahlungsverkehres bestünde.

Bürgerliche Freiheitsrechte, konkret auch die Einschränkung der Privatautonomie, könnten dem staatlichen Eingriff entgegengehalten werden. Gemäß den Grundsätzen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit wäre hier eine Abwägung zu treffen. Eine vollständige Abschaffung von Bargeld würde nicht nur den Zahlungsverkehr, sondern auch die Wertaufbewahrungsfunktion des Euro treffen.

Verliert der Euro seine Wertsicherungsfunktion?

So könnte die EZB Strafzinsen für Zentralbankguthaben noch effektiver durchsetzen und Geschäftsbanken diesen über negative Zinsen für Einlagen weitergeben, da ein Ausweichen auf Bargeldhortung nicht mehr möglich wäre. Um die Verausgabung von E-Geld aus konjunkturellen Gründen anzuregen, könnte die EZB darüber hinaus eine periodische Entwertung der Geldguthaben um x Prozent vornehmen – am Monatsende wären statt 100 nur noch 99 Euro auf der Geldkarte. Im Ergebnis würde eine staatliche Reglementierung des Bargeld-Zahlungsverkehrs einer Wertsicherung zuwiderlaufen.

Schließlich würde im Falle einer Bankenkrise das Phänomen eines Bank Run eine andere Erscheinung annehmen. Entziehen Kunden einer einzelnen Bank das Vertrauen und gerät diese in Zahlungsschwierigkeiten, so kommt es üblicherweise zum „Schaltersturm“, und die Kunden versuchen, ihre Spareinlagen in Form von Bargeld abzuziehen. Die Zentralbank muß entscheiden: Handelt es sich um einen vorübergehenden Liquiditätsengpaß, so kann sie dem Geldinstitut einen Refinanzierungskredit geben und weiteres Bargeld transferieren.

Sollte die Geschäftsbank hingegen überschuldet sein, so würde eine Schließung des Institutes anstehen. Im ersten Fall würden alle Kunden bedient, im zweiten gingen späte Kunden leer aus. Existiert nur E-Geld, entfällt zunächst der optische Eindruck eines Bank Run durch lange Kundenschlangen. Vielmehr würden die Kunden versuchen, ihr Karten- oder Netzgeld des betroffenen Institutes durch Einzahlung bei einer anderen Bank zu sichern: Statt eines Bank Run gäbe es einen Bank Walk, also eine Übertragung des Guthabens auf eine vermeintlich sichere Bank.

Alternativ könnten Kunden ihre E-Guthaben durch Käufe oder anderweitige Geldtransfers auf Dritte übertragen. Voraussetzung für die Akzeptanz dieses E-Geldes durch den Zahlungsempfänger wäre allerdings ein Konto bei einer anderen, sicheren Bank. Da sich die Informationen über Zahlungsprobleme überaus schnell verbreiten, würde ein Bank Walk ein Geldinstitut überaus schnell in den Ruin treiben. Die Geldkarten wären in Kürze gesperrt. Entsprechend schnell muß auch die Zentralbank entscheiden, ob sie das Bankhaus weiterhin unterstützen will oder aber die Bankenaufsicht eine Schließung vornehmen muß.

Damit steigt zugleich das Risiko einer Krisenübertragung auf andere Geldhäuser. Da hier der gleiche Prozeß ablaufen würde, nähme die Krise sehr schnell nationale und grenzüberschreitende Züge an. Allerdings kann die Notenbank ebenso schnell und überaus wirksam eine Unterbrechung des Zahlungsverkehrs und Kapitalverkehrsbeschränkungen erlassen. Umgehungsmöglichkeiten einer (illegalen) Kapitalflucht mit Geldkoffern wäre der Weg versperrt. Die Geld-/Einlagenhalter einer Euro-Monopolwährung wären in einem Käfig mit noch engeren Gitterstäben gefangen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg.

Bargeldbeschränkung in der Eurozone

Auf Euro lautende Banknoten sind nach Bundesbankgesetz „das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel“ in Deutschland. Die Verordnung 974/98 des EU-Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro erlaubt jedoch massive Bargeldeinschränkungen „aus Gründen der öffentlichen Ordnung“. In Italien war es seit Dezember 2011 nicht mehr erlaubt, Beträge von mehr als 999,99 Euro mit Bargeld zu bezahlen. Da dies Luxustouristen abschreckte, wurde die Bargeldgrenze inzwischen wieder auf 2999,99 Euro angehoben. In Portugal liegt die Obergrenze bei 1.000 Euro, in Griechenland bei 1.500 Euro. In Spanien dürfen Einheimische nur Beträge bis zu 2.500 in bar begleichen. Für Ausländer liegt die Grenze bei 15.000 Euro, in Frankreich sind es seit 2015 nur noch 10.000 Euro. Belgien hat eine Bargeldobergrenze von 3.000 Euro. Im Immobilienbereich darf überhaupt nicht mit Bargeld gezahlt werden. In der Slowakei ist bei 5.000 Euro Schluß. Im Baltikum, in Finnland, in Irland, in den Niederlanden sowie in Österreich und Slowenien gibt es bislang keine gesetzlichen Bargeldbeschränkungen.