© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Der Flaneur
Kein Mozart im Grünen Baum
Tobias Dahlbrügge

Er ist ja ein netter Kerl, aber diese fürchterliche Vorliebe für finstere Kneipen. Zum Glück treffen wir uns nur alle Jubeljahre, aber dann will er jedesmal in eine Spelunke, die ich ohne ihn niemals freiwillig betreten würde. Das ist schon einmal fast buchstäblich ins beziehungsweise aufs Auge gegangen. Diesmal muß es auch so ein Prollschuppen sein: „Da geh’n wa rein!“ Ich sage: „Nie im Leben!“ „Zum grünen Baum“, eine Eckkneipe mit Aufs-Maul-Garantie. „Ach komm, nur auf ein Bier.“ Na gut.

Ein riechbar in Mariacron gebadeter Kerl in der Ecke versucht mitzusingen: „Hmadeuss“.

Das Rauchverbot interessiert hier kein Schwein. Wo kein Kläger, da kein Richter. So viele Zahnlücken habe ich noch nie auf so engem Raum gesehen. Aus den Boxen plärrt Falcos „Amadeus“. Ein riechbar in Mariacron gebadeter Kerl in der Ecke versucht mitzusingen. Mehr als ein verwischtes „Hmadeuss, deuss“ bringt er nicht mehr heraus. Aus den Augen blickt er schon lange nicht mehr geradeaus.

Wir haben uns kaum an die Theke gesetzt, kommt ein Typ herein. Schäbiger Mantel, fettige Haare und einen abgeschabten braunen Koffer in der Hand. Er setzt den Koffer ab und fragt: „Kannichma telefoniern?“ Er hat offenbar kein Handy. Am Ende der Theke, wo wir sitzen, ist ein Festnetztelefon. Er wählt eine Nummer. Obwohl ich mit dem Rücken zu ihm sitze, verstehe ich jedes Wort: „Hier is’ Keule. Ich bin wieder draußen. Hol mich ma’ ab. Ich bin im ‘Grünen Baum’.“ „Hmadeus!!“ grölt es aus der Ecke.

Als mein Freund auch noch zwei nicht mehr taufrische „Damen“ zu uns bittet, reicht es mir aber. Das Pils und der „preiswerte“ Weinbrand sind sowieso leer. „Los, wir gehen!“ Draußen zieht er mich auf: „Wieso? War doch lustig.“ Na ja, es geht so. Außerdem habe ich jetzt einen verdammten Ohrwurm: „Er hatte Schulden, denn er trank, doch ihn liebten alle Frauen, und jede rief: Come and rock me Amadeus, Amadeus ...“