© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Parteiensystem
Das Ende des Linkstrends
Dieter Stein

Die Gründe für die Erosion des Parteiensystems reichen weit zurück. Wer die Ursache für den Durchmarsch der AfD allein bei der Asylkrise sucht, greift zu kurz. Nach der Bundestagswahl 2009 kam es zu einer entscheidenden Weichenstellung. Es hatte eine schwarz-gelbe Koalition mit historisch erstarkter FDP gesiegt. Wenig später, im Januar 2010, verabschiedete die CDU die „Berliner Erklärung“, in der sie sich demonstrativ weiter nach links öffnete und letzte konservative Konturen schleifte. Eine „Aktion Linkstrend stoppen“ sammelte in wenigen Wochen fast 10.000 Unions-Anhänger, die für eine konservative Kurskorrektur warben. Es bildete sich ein „Berliner Kreis“ von aus dem Kanzleramt belächelten CDU-Konservativen (darunter der heutige AfD-Vize Alexander Gauland). Es kam zu Absplitterungen, Parteigründungen – alle jedoch ohne Erfolg. Der Linksruck der CDU schien machtpolitisch folgenlos zu bleiben.

Das Unglück von Fukushima 2011 brachte eine übereilte Energiewende, im gleichen Jahr eine hektische Aufgabe der Wehrpflicht – die Anpassung an rote und grüne Positionen, sie blieb weiterhin ohne Konsequenz. Da keine ernstzunehmende politische Alternative als Konkurrenz existierte, steigerte sich die Arroganz der CDU-Führung gegenüber konservativen Wählermilieus in Größenwahn.

Das Zauberwort der „asymmetrischen Demobilisierung“, die präventive Aufgabe eines polarisierenden Richtungswahlkampfes, wurde zum Mantra der Merkel-Entourage. Der politische Gegner sollte erstickt werden durch wonnige Umarmung. Im Falle der SPD scheint dies in fast vernichtender Weise zu gelingen. Bei der jüngsten Meinungsumfrage unterschritten die Sozialdemokraten erstmals die 20 Prozent.

Doch jetzt ist alles anders: Die AfD macht die in Jahren addierten inhaltlichen Defizite, Fehlentscheidungen erbarmungslos sichtbar, rollt das Feld in breiter Front auf. Die Großspurigkeit, mit der man glaubte, konservative Wähler folgenlos brüskieren zu können, sie rächt sich jetzt bitter. Der Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Faymann (SPÖ) zeigt die Erschütterung des dortigen Parteiensystems. Die Schockwellen aus Wien sind auch im Willy-Brandt-Haus zu spüren, wo Vize-Kanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel angeblich über ähnliche Konsequenzen nachdenken soll.

Die CDU hat sich mit ihrer jahrelangen von oben exekutierten Demobilisierung durch inhaltliche Entleerung in ein geistiges und politisches Vakuum verwandelt. Die chamäleonhafte Hülle hieß Merkel, der Zweck war die Machtsicherung ihres Apparates. Nun füllt sich das Vakuum durch eine neue politische Kraft, weil sich eine stetig wachsende Zahl von Bürgern für den Ausbruch aus der Monotonie entschieden hat. Der immer verzweifeltere Ruf nach einer Kurskorrektur aus dem Inneren der CDU – er kommt wohl endgültig zu spät.