© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

„Kein Politiker regt sich darüber auf“
AfD: Seit zwei Wochen stehen die Daten von rund 2.000 Parteimitgliedern für jedermann sichtbar im Internet
Marcus Schmidt

Auch knapp zwei Wochen danach sitzt der Schock bei vielen Betroffenen noch tief. Am 1. Mai, dem letzten Tag des AfD-Bundesparteitages in Stuttgart hatten unbekannte Täter auf der linksextremistischen Internetseite linksunten.indymedia (siehe Artikel auf dieser Seite)  die persönlichen Daten von 2.000 AfD-Mitgliedern veröffentlicht, die sich zum Parteitag angemeldet hatten. Seitdem stehen sie mit Namen, Adresse, Geburtsdatum, Telefonnummer und E-Mailadresse für jeden sichtbar im Internet: für Nachbarn, Bekannte, Kollegen, Arbeitgeber. Für viele Mitglieder, die teilweise aus Angst vor Übergriffen oder Ausgrenzung bisher ganz bewußt darauf verzichtet hatten, ihre AfD-Mitgliedschaft öffentlich zu machen, eine unangenehme Situation.

Und auch die Sicherheitsbehörden nehmen den Vorfall ernst. Die Strafverfolgungsbehörden der Länder, das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz hätten sich mit Blick auf vergangene Angriffe auf AfD-Mitglieder über die Gefährdungsbewertung ausgetauscht sowie Fahndungs-, aber auch Schutzmaßnahmen eingeleitet, teilte das Bundesinnenministerium nach der Veröffentlichung der Daten auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Derzeit lägen der Bundesregierung keine konkreten Gefährdungserkenntnisse zum Nachteil einzelner AfD-Mitglieder vor. Dennoch wurden teilweise bereits Warnhinweise verschickt. So warnt etwa das Polizeipräsidium Potsdam in einer „Gefährdetenansprache“ an betroffene AfD-Mitglieder vor möglichen „Resonanzstraftaten“ und gab gleich eine ganze Reihe von Verhaltenshinweisen. So sollten Betroffene mit Angehörigen oder vertrauenswürdigen Nachbarn Absprachen „für den Fall einer verdächtigen Wahrnehmung“ treffen und „nicht ständig benutzte Räume verschlossen halten“. Außerdem warnt die Polizei die AfD-Mitglieder davor, Fremden „Auskünfte über ihre Person und persönliche Verhältnisse“ zu geben.

Wie berechtigt diese Vorsichtsmaßnahmen offenbar sind, haben die vergangenen Tage gezeigt. Bislang sind der Partei 70 bis 80 Vorfälle bekanntgeworden, bei denen ein Zusammenhang mit dem Datenleck vermutet wird. Die Liste reicht von nächtlichen Drohanrufen über Farbschmierereien bis hin zu von Unbekannten bestellten Waschmaschinen oder täuschend echt aussehenden gefälschten Strafmandaten der Stuttgarter Polizei, berichtet das zuständige  AfD-Vorstandsmitglied Paul Hampel.

Als einer der ersten hatte ausgerechnet ein Unbeteiligter zu spüren bekommen, welche Folgen die Veröffentlichung der Daten haben kann. „Braunes Nazischwein, deine Tage sind gezählt. In 48 Stunden wirst du umgebracht“, stand in einer Mail, die ein Student aus Tübingen nach dem Parteitag bekommen hatte. Doch der junge Mann ist überhaupt nicht Mitglied der Partei. Da er aber über die AfD forscht, hatte er sich zum Parteitag angemeldet und war so auf die Adreßliste gekommen, berichtete er dem SWR.

Unterdessen hatte das gemeinnützige „Recherchezentrum“ Correctiv keine Skrupel im Umgang mit den illegal im Internet veröffentlichten Daten. Der unter anderem von mehreren Stiftungen finanzierte linke Journalistenverbund, der seine Arbeit sogar von einem eigenen Ethikrat begleiten läßt, wertete anhand der Daten die regionale Herkunft der Parteitagsteilnehmer aus. Dieses Vorgehen stieß bei anderen Journalisten auf Kritik. „Unbeschwert setzten die Correctiv-Leute gleich einen Link zur Quelle mit den Daten – als hätten wir ein Recht darauf, sie zu kennen; als gäbe es hier, wie bei anderen ‘Leaks’, ein öffentliches Interesse“, schieb der linke Medienjournalist Stefan Niggemeier auf der Internetseite  uebermedien.de.

Der Generalbundesanwalt antwortet nicht

Die AfD versucht derzeit, die Ursache dafür zu finden, warum zum wiederholten Male sensible Mitgliederdaten in die Hände von Linksextremisten gelangt sind. Noch in dieser Woche soll der vom Bundesvorstand eingeschaltete IT-Forensiker erste Ergebnisse seiner Nachforschungen vorlegen. Ein internes Leck schließt die Partei mittlerweile aus, möglicherweise liegt die Schwachstelle bei einem ihrer Internet-Geschäftspartner, heißt es.

Auf Unverständnis stößt, daß die Daten weiter im Internet stehen. „Seit mehr als zehn Jahren gibt es diese Seite, und kein Politiker und kein Staatsanwalt regt sich darüber auf“, sagte Hampel mit Blick auf Indymedia. In der vergangenen Woche hatte er Generalbundesanwalt Peter Frank angerufen und ihn gebeten, in diesem schwerwiegenden Fall die Ermittlungen an sich zu ziehen. „Ich habe bis heute keine Antwort erhalten“, sagte Hampel am Dienstag.