© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Die Inquisition im Internet
Linksextremismus: Die Seite linksunten.indymedia ist den Ermittlungsbehörden bereits häufiger aufgefallen – ohne Konsequenzen
Martin Voigt

Hoch her ging es auf der linksextremen Online-Plattform linksunten.indymedia.org, als Anfang Mai die gehackte Teilnehmerliste des Stuttgarter AfD-Programmparteitags auftauchte. „Gute Jagd an alle“, schrieb der eine, die neue Adresse von Frauke Petry postete ein anderer. Vollkommen anonym kann man auf linksunten.indymedia Artikel veröffentlichen und kommentieren, auf andere Seiten verlinken, seine Meinung kundtun oder zum Mord aufrufen.

Mit wenigen Klicks war die geleakte AfD-Liste online veröffentlicht. Der langfristige Schaden für diejenigen, die nun für jeden sichtbar am Pranger stehen, ist noch nicht abzusehen. „Schläge und Kot – können jetzt viele weitere rechte Hetzer*innen abbekommen!“ heißt es hämisch in einem gendergerecht formulierten Kommentar, menschliche Kälte schimmert im nächsten: „Das Auto, welches plötzlich keine Bremsen mehr hat (...) die platten Reifen oder die eingeschlagene Frontscheibe (...). Das verschmierte Haus, der umgegrabene Garten, die ständigen Anrufe, meist mitten in der Nacht, die Angst vor jedem entgegenkommenden Menschen, wird er mir auch eine reinhauen, wird er mich anspucken, treten oder was soll noch alles passieren.“

Nicht zum ersten Mal offenbart sich linksunten.indymedia.org als modernes Inquisitionsportal der linken bis linksextremen Szene. Erst im Februar hatten Linksextremisten die Seite genutzt, um zum Mord an Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) aufzurufen, weil dieser verstärkt gegen Linksextremisten vorging. In den großen Medien war das Netzwerk nur kurz ein Thema, obwohl dort laut Verfassungsschutz auch Bekennerschreiben zu Anschlägen, Mobilisierungsaufrufe für Demonstrationen, Veranstaltungsberichte und sogenannte „Nazi-Outings“ veröffentlicht werden.

Das internationale Internetportal Indymedia entstand 1999 anläßlich der Proteste gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle. Während der Castortransporte im März 2001 ging Indymedia Deutschland online. 2002 wurde dem „multimedialen Netzwerk“ ohne Hierarchieebenen auf Initiative der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) sogar der „poldi-Award“ für Bürgerengagement und Demokratieförderung im Internet verliehen. Die Preisverleihung führte zu heftiger Kritik seitens der CDU. Der damalige stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), bezeichnete es als „unerträglich, daß derselbe Staat, der vor diesem Internetportal wegen des verfassungsfeindlichen Inhalts warnt, diesem Portal einen Internet-Preis verleihen läßt“.

Wenig später stellte die BpB in ihrer Online-Ausgabe des Jugendmagazins fluter das deutsche Indymedia ausführlich vor, obwohl schon bekannt war, daß es sich um einen Treffpunkt des gesamten linken Spektrums handelte. Mit wenigen Klicks stießen Jugendliche, die eigentlich in ihrer demokratischen Bewußtseinsbildung gefördert werden sollten, auf Anleitungen zum Bombenbau und zu Sabotageakten.

Inzwischen ist der Informationsaustausch im Internet kein Neuland mehr. Deutlich radikaler und organisierter als das ursprüngliche Indymedia funktioniert linksunten.indymedia. Im Klassenkampf gegen die Staatsgewalt, gegen die „Bullen“, wie es in den Artikeln stets heißt, herrscht zumindest dem Tonfall nach eine urdeutsche Tugend vor: akribische, durchkalkulierte Planung.

„Autonome Gruppen“ veröffentlichten 2010 einen Polizeibericht und informierten auf über hundert Seiten detailliert über Ausrüstung, Fahrzeuge, Standorte und Einsatztaktiken der verschiedenen Berliner Polizeieinheiten. Außerdem wiesen sie auf die Schwachstellen der unter anderem von Bereitschaftspolizisten getragenen Körperschutzausstattung hin und zeigten, an welchen Stellen die Polizisten verwundbar sind.

Ebenfalls 2010 wurde auf der Seite die Broschüre prisma („prima radikales info sammelsurium militanter aktionen“) verbreitet. Neben Anleitungen zu Sabotageakten auf Bahnstrecken finden sich in dem 80seitigen Heft detaillierte Beschreibungen zum Bau verschiedener Brand- und Sprengsätze.Das nach innen wie außen wichtigste Kommunikationsorgan linksextremer Kreise wird auf Servern im Ausland gehostet. Zur Gründung von indymedia.linksunten hieß es im August 2008: „Indymedia ist eine Waffe im sozialen Kampf, die mit jeder Benutzung schärfer wird. Mit Indymedia linksunten wollen wir uns diese Waffe der Subversion aneignen.“ Solidarität, Respekt und gegenseitige Hilfe seien dabei die Grundlagen des Kampfs für Emanzipation und Autonomie.

Das Bundesinnenministerium beobachtet die Aktivitäten von indymedia.linksunten nicht erst seit dem AfD-Leak. Datenausspähaktionen und die anschließende Veröffentlichung personenbezogener Daten gehörten „seit Jahren zum Aktionsumfang deutscher Linksextremisten“, teilte das Ministerium auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Ungewöhnlich sei allerdings die große Anzahl der nunmehr „geouteten“ Personen. Zu einem möglichen Verbot von indymedia.linksunten wollte sich die Behörde nicht äußern. Sie verwies jedoch auf die Berichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz von 2012 und 2013, in denen indymedia.linksunten als Teil der linksextremen Bewegung angesehen wird.