© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Grüße aus Wien
Auf nach Grinzing
Michael Link

Das ist mir auch schon länger nicht mehr passiert: Ich bin auf dem Weg zu einem Termin, muß allerdings nicht dorthin hetzen, stattdessen verrät mir meine Uhr einen gehörigen Spielraum. „Stadtpark“, erklingt in der U-Bahn die helle Stimme aus dem Lautsprecher, die ich heute – mag es am zurückkehrenden Frühling liegen – besonders charmant empfinde.

Stadtpark? Warum eigentlich nicht. Ist doch netter, als zwanzig Minuten länger als nötig im Warteraum meiner heutigen Zahnbehandlung entgegenzufiebern. Ich steige aus. Schon der Anblick und der Duft des Blumenbeetes vor dem Kursalon am Rand des Stadtparks sind meinen kleinen Ausflug wert. Nicht weniger genieße ich die milden Sonnenstrahlen an diesem Apriltag, die mich – schenke ich den Meteorologen Glauben – nachmittags auch noch auf dem hoffentlich nicht schmerzgeplagten Heimweg vom Zahnarzt begleiten werden.

Geradezu beneidenswert sind sie, diese ständig vor den Sehenswürdigkeiten posierenden und lächelnden Touristen. Besonders das Johann-Strauss-Denkmal hat es ihnen angetan. Kaum bin ich langsam daran vorbeispaziert, vernehme ich die Klänge einer Geige vor dem Hintergrund der allerorten fröhlichen Vogelgesänge.

Immer mehr Wiener Heurige haben in den vergangenen Jahren zugesperrt.

„Wien, Wien, nur du allein“ erkenne ich, diese romantisch-melancholische heimliche Hymne unserer Stadt. Ich nähere mich der Quelle dieser mit jedem Schritt trauriger klingenden Musik, einem deutlich in die Jahre gekommenen Geiger neben dem Franz-Lehar-Denkmal. Eine Minute lang möchte ich stehenbleiben, um mich von dieser alten Melodie betören zu lassen. Für einen Augenblick erinnert mich der Musiker an ein Mitglied der Schrammeln, dessen markante Gesichtszüge sich mehr noch als die Musik einst bei meinem Besuch des Heurigenlokals Dreimäderlhaus eingeprägt haben. Ist er es? Möglich. Vielleicht hat ja auch das Dreimäderlhaus inzwischen zugesperrt. Wäre nicht der erste Wiener Heurige in den vergangenen Jahren.

Ich nehme mir vor, bald wieder einen Spaziergang zu machen. Und anschließend irgendwo in einem netten Gastgarten einzukehren. Warum nicht in Grinzing, am Rande unserer Welthauptstadt der Musik, bei einem der noch verbliebenen Heurigen, um bei einem Vierterl Glas Wein die Musik der Schrammeln zu genießen? Und außerdem: Schöne Musik soll auch gegen Schmerzen helfen, sogar gegen Zahnschmerzen.