© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Stasi-Akten ins Bundesarchiv überführen?
Das völlig falsche Signal
Siegmar Faust

Der Abschlußbericht der Expertenkommission zur Zukunft der BStU ist eine Lachnummer. Anstatt sich dafür einzusetzen, daß Wartezeiten der Akteneinsicht verkürzt, begrenzende Fristen abgeschafft und sinnlose Schwärzungen verhindert werden, daß Forschung ausgeweitet und für Externe erleichtert wird, daß Säcke voller zerrissener Akten endlich beschleunigt rekonstruiert werden und eine einheitliche Find-Datei zu nicht personenbezogenen Themen zur Verfügung steht, rüttelte die Kommission hauptsächlich an der Sonderstellung jener Behörde, die als Symbol der friedlichen Revolution gilt und anderen Ländern als Vorbild dient.

Natürlich läßt sich vieles optimieren, vor allem die Ausweitung auf SED-Funktionäre, denen die Stasi als „Schild und Schwert“ diente. Das weiß Roland Jahn, der sich alle Mühe gab, dort frischen Wind einzubringen, wo einst unter Joachim Gauck überwiegend ehemalige SED- und Stasi-Mitglieder eingestellt worden waren.

Gauck rechtfertigte damals die angeblich 19 Stasi-Mitarbeiter in seiner Behörde gegen die skeptischen Fragen der Beiratsmitglieder. Doch als seine Nachfolgerin Birthler 57 Stasi-Mitarbeiter entdeckte, fühlten sich nicht nur Beiratsmitglieder getäuscht. 

Schlimm an einer Parteien-Demokratur wie der unseren ist, daß nicht die Wahrheit, die Erforschung der Geschichte, der gesellschaftliche Konsens und die Bedürfnisse der Betroffenen im Zentrum stehen,

sondern Machtspiele der Parteien.

Lediglich Richard Schröder nicht, der als typischer SPD-Funktionär agierte, um „über die Aufgabe der Stasi-Akten-Behörde (…) grundsätzlich nachzudenken“. 2009 meinte der Theologe in einem Spiegel-Interview mit Blick auf Kerstin Kaiser, ehemals Fraktionschefin der Linken in Brandenburg, daß für ihn, wenn sich die Stasi-Mitarbeiterin „als eine verläßliche Person präsentiert“, „das mit der Stasi auch mal gegessen“ sein müsse. Was passierte in der „Volksrepublik Brandenburg“ unter dem Wappen des roten Adlers? Ein Stasi-Skandal jagte den anderen. Hunderte Stasi-Mitarbeiter wurden in den Polizeidienst übernommen. Elitenaustausch unter IM „Sekretär“ Stolpe? Fehlanzeige.

Aber darüber hörte man vom langjährigen Verfassungsrichter Schröder in diesem roten Land kaum etwas. Kein Wunder, daß der mit Ehrungen und Ämtern überhäufte und in den Natio-nalen Ethikrat berufene Professor immer wieder auf Roland Jahn eindrosch und das Verfallsdatum seiner Behörde beschwor. Ehemalige politische Gefangene samt Angehörigen jubelten, daß endlich mal einer, der mutig Widerstand leistete und Stasi-Hafterfahrung mitbrachte, in diese Position gewählt wurde. Denn der 1983 ausgebürgerte Jahn setzte sich fortan auch im Westen als Fernsehjournalist weiter für die Aufdeckung des Unrechtsstaates ein und förderte die Demokratisierung seiner Heimat.

Schlimm an einer Parteien-Demokratur wie der unseren ist, daß nicht die Wahrheit, die Erforschung der Geschichte, der gesellschaftliche Konsens und die Bedürfnisse der Betroffenen im Zentrum stehen, sondern Machtspiele der Parteien. Die SPD hat es nötig, denn unvergessen bleibt ihr SPD-SED-Papier, mit dem sie die DDR-Despotie noch kurz vor ihrem Ende auf Augenhöhe zu hieven suchte.

Schon 2004 tauchte unter Knut Nevermanns (SPD) Konzept „zu den Gedenkstätten der SED-Diktatur in Berlin“ folgender Satz auf: „Die BStU wird in das Bundesarchiv integriert, die Bildungs- und Forschungsaufgaben der BStU werden der Stiftung Aufarbeitung und/oder anderen Institutionen teilweise oder ganz übertragen.“ Rasch wurde es dementiert, doch nie zurückgenommen, wie sich wieder zeigte, besonders durch den Strippenzieher Richard Schröder, der, wie der Journalist Sven Felix Kellerhoff hinter vorgehaltener Hand erfuhr, als Vize seinen Kommissionschef Wolfgang Böhmer (CDU) nach Belieben ausgetrickst haben soll.

Respekt verdient das Minderheitsvotum Hildigund Neuberts. So wie sie sehen die ungewollt eigentlichen Experten, die Opfer nämlich, keine zwingenden Gründe, die Behörde als Flaggschiff der Aufarbeitung zu kentern. „Das Skandalon der totalitären SED-Herrschaft mit ihren noch schmerzenden Nachwirkungen“, so Neubert, „soll in den Abgründen der Geschichte, den Labyrinthen von Archiven versinken, interessant nur noch für ein paar Spezialisten, die ‘die DDR als Chance’ für ihre akademische Laufbahn sehen.“ Das zu einer Zeit, „in der Deutschland vor großen Herausforderungen steht, in der viele Bürger um ihre Identität in ihrem Land besorgt sind, in der neue totalitäre Regime und Ideologien uns herausfordern, ist es das falsche Signal, diese Institution der Freiheit zu schleifen“.






Siegmar Faust, Jahrgang 1944, war von 1996 bis 1999 Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Sachsen. Der Schriftsteller wurde in der DDR aus politischen Gründen eingesperrt, darunter über zwei Jahre in Einzelhaft.