© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Glücksspieler, die alles auf eine Karte setzen
Die Krux „grüner“ Zukunftsplaner – eine Kritik des naiven Technikvertrauens der Ökomodernisten
Christoph Keller

In Klaus Meyer-Abichs „Wege zum Frieden mit der Natur“ von 1984 findet sich in dankenswerter Konzentration alles, was ökologisches Denken und Handeln, was „grüne Politik“ bis heute bestimmt. Die Palette der Ratschläge reicht vom umweltverträglichen Wirtschaften und ökologischen Landbau bis zu Mahnungen zur Erhöhung der Ressourceneffizienz und zu Empfehlungen „naturnaher Technologien“ wie Windräder oder Sonnenkollektoren.

Armin Grunwald, promovierter Physiker, habilitierter Philosoph und Leiter des Karlsruher Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), billigt Meyer-Abichs einflußreicher Arbeit immer noch kanonischen Rang zu, denn sie formuliere unverändert aktuell die europäische, auf Versöhnung zwischen Mensch und Umwelt setzende Antwort auf die 1972 durch den Club of Rome aufgezeigten „Grenzen des Wachstums“ (Gaia, 4/15).

Angriff auf ein Manifest von US-Ökopragmatikern

Für ihr von Grunwald verworfenes Gegenmodell benötigten 19 US-Wissenschaftler und Umweltbewegte mehr als 30 Jahre. 2015 als „An Ecomodernist Manifesto“ (Ökomodernes Manifest) veröffentlicht, entwerfen sie darin, mit deutlichen Seitenhieben gegen die deutsche Energiewende, eine Strategie, die nicht „Versöhnung“ mit, sondern „Trennung“, radikale Emanzipation von der Natur propagiert. „Menschliche Technologie verringert die Abhängigkeit der Menschen von den vielen Ökosystemen, auf die sie früher zum Überleben angewiesen waren und die durch die Ausbeutung stark geschädigt wurden“, behaupten die sich selbst als „Ökopragmatiker und Ökomodernisten“ bezeichnenden Manifestautoren.

Ihr typisch angelsächsischer, schon von Francis Bacon (1561–1626) formulierter Fortschrittsglaube, wie er sich kraß wieder in jüngsten futuristischen Silicon-Valley-Visionen einer Symbiose von Mensch und Computer ausprägt, sieht die Zukunft der Menschheit in einer zweigeteilten Welt: hier die High-Tech-Regionen der Zivilisation, dort unberührte Naturparadiese.

Der Mensch solle sich in maximal technisierten Kommunen organisieren, in „hoch verdichteten Siedlungen mit hoch intensiver Landwirtschaft, synthetischer Nahrungsmittelproduktion und hocheffizienter Warenproduktion“. Eine wachsende Weltbevölkerung, die ihren Nahrungsmittelbedarf möglichst vollständig technisch befriedige, könne dann auf immer weniger Fläche unter Nutzung von immer weniger Rohstoffen existieren, so daß sie der Natur gestatte, weite Teile des Planeten wieder in Wildnis zu verwandeln.

In ihrer Fixierung auf das technisch Machbare votieren die US-Ökomodernisten jedoch für den weiteren Ausbau der Kernenergie, für Gentechnik, für chemisch intensivierte Landwirtschaft: „Die menschliche Zivilisation kann über Hunderte und Tausende von Jahren aus einem geschlossenen Kreislauf mit den Brennstoffen Uran, Thorium oder der Wasserstoff-Deuterium-Fusion Energie erzeugen. Bei gutem Management besteht für die Menschen keine Gefahr, daß es zu einem Mangel an Anbauflächen für Nahrungsmittel kommt.“

Das unterscheidet sie von Europas Ökologen. Allerdings nicht prinzipiell, wie Grunwald kritisiert. Bei Ralf Fücks – einst Maoist und Führungsmitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), heute Vorstandsmitglied der grünen Heinrich-Böll-Stiftung – finde sich, wenn auch unter Verzicht auf Atommeiler und Genmais, ein strukturell ähnlich naives Vertrauen auf den technischen Fortschritt, der uns Energie und Nahrung im Überfluß liefern werde.

Wie die US-Ökomodernisten scheinen also auch die Grünen die Existenz objektiver Grenzen des Wachstums zu vergessen. Technik gelte offenbar auf beiden Seiten des Atlantiks als „zentraler Problemlöser“. Nebenfolgen effizienzsteigernder Technologie, die historisch bisher geradezu gesetzmäßig aufgetreten seien, würden daher ignoriert. Wie ein Glücksspieler setze man stattdessen alles auf die eine Karte Technik. Fücks habe diese Mentalität von Hasardeuren 2011 – im Jahr des Atomausstiegs – immerhin zugegeben, als er den Übergang zum „nachhaltigen Wachstum“ eine „offene Wette“ auf die technisch-wissenschaftlichen Potentiale nannte und einräumte: „Wir können den Wettlauf mit der ökologischen Krise auch verlieren.“

An Ecomodernist Manifesto:  www.ecomodernism.org/

„Ökomodernismus und Ethik“, in Gaia 4/15: www.oekom.de