© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Tschechische Worte des Bedauerns
Geschichtspolitik: Auf dem Sudetendeutschen Tag spricht erstmals ein Prager Regierungsmitglied
Gernot Facius

Der „historische Augenblick“ war geschickt inszeniert: Als erstes tschechisches Regierungsmitglied hat Kultusminister Daniel Herman auf dem traditionellen Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) zu den „lieben Landsleuten“ gesprochen – eingeladen von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und versehen mit dem Plazet des Prager Premiers Bohuslav Sobotka.  Gegen den Auftritt des Christdemokraten Herman protestierten lediglich die tschechischen Kommunisten und Präsident Milos Zeman. Der Sozialdemokrat Sobotka hingegen  sprach von einer „natürlichen Sache“, die „vollkommen im Kontext der heutigen tschechisch-deutschen und tschechisch-bayerischen Beziehungen“ stehe. 

Das war vor einem Jahr noch anders. Eine freundliche Videobotschaft von Sobotka-Vize Pavel Belobradek  an den Sudetendeutschen Tag in Augsburg hatte an der Moldau breitere Kritik provoziert. Ein Fortschritt also. Aber markiert die „Sternstunde in den bayerisch-tschechischen Beziehungen“ (O-Ton Seehofer) schon  die Wende im komplizierten sudetendeutsch-tschechischen Verhältnis? Der ehemalige Priester Daniel Herman ist den Vertriebenen kein Unbekannter. Als Ratsmitglied des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums sah man ihn bereits mehrmals auf den großen Treffen, und er steht an der Spitze der tschechischen Partnerorganisation der sudetendeutschen Ackermann-Gemeinde. 

Kritik aus den eigenen Reihen

Neu ist, daß er diesmal in offizieller Mission angereist war. Der Sprecher  der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt (CSU), deutete Hermans Anwesenheit deshalb als „starkes Signal für den Fortgang des Versöhnungsprozesses“. Es sei ein Zeichen dafür, daß sich die gemeinsame Arbeit der bayerischen Staatsregierung und der sudetendeutschen Volksgruppe auf Erfolgskurs befinde. Und einmal auf Lobestour, dankte Posselt dem Prager Ministerpräsidenten und der tschechischen Regierung für ihre „von europäischem Geist getragene Nachbarschaftspolitik“. 

Die Realität sieht  noch immer anders aus. Prag wehrt sich nach wie vor gegen offizielle Kontakte mit der Landsmannschaft als der Vertretung der  Volksgruppe, und es hält an rassistischen Gesetzen und Dekreten fest, welche zur Entrechtung und  Vertreibung von mehr als drei Millionen Deutschen führten. Daran ändert auch der „historische Moment“ von Nürnberg wenig. Minister Herman zitierte den verstorbenen ehemaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel, der einmal gesagt hatte, die Vertreibung der Sudetendeutschen sei eine zutiefst unmoralische Tat, geleitet durch den Drang nach Rache, gewesen. 

Herman: „Ich wähle Worte des Bedauerns über Verbrechen, die von einigen Ihrer Vorfahren verübt wurden. Zugleich bedauere ich zutiefst, was vor sieben Jahrzehnten von einigen unserer Vorfahren begangen wurde und daß dadurch unser jahrhundertelanges Zusammenleben verletzt wurde.“ 

Posselt erkannte in den Ausführungen des Gastes aus Prag „eine klare Ablehnung nicht nur der Vertreibung, sondern auch des Prinzips der Kollektivschuld“. Anders als bei früheren Pfingsttreffen wurde die alte Forderung nach Aufhebung der Benesch-Dekrete diesmal nicht öffentlich thematisiert. So gesehen bedeutet der 67. Sudetendeutsche Tag eine Zäsur. Das Erheben von Forderungen führe nicht zum Erfolg, ließ sich Posselt in seiner Rede nach dem Herman-Auftritt vernehmen. Nur der „Dialog“ verspreche Fortschritte. Zu ihm gebe es „keine Alternative“, sagte auch Seehofer, der Schirmherr der Volksgruppe.  „Dialog“ ist das neue Mantra der SL. Man zitiert mit Vorliebe den weisen Laotse: Jede lange Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Welche Schritte 26 Jahre nach Havels samtener Revolution getan werden, das ist die große Frage. Wie lange werde es wohl noch dauern, bis die von Posselt geführte Organisation eines Tages selbst die Benesch-Dekrete akzeptiere? fragte im April Tomas Pecina, Obmann der erst 2015 gegründeten Sudetendeutschen Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien: „Meine diesbezügliche Vorhersage lautet: Auch dies trifft mit Gewißheit ein, allerdings nicht erst in einigen Jahrzehnten, sondern wesentlich früher.“ 

Zwei Tage vor dem Nürnberger Treffen schrieb der Kulturgeograph Wilfried Heller, der an der Universität Potsdam lehrte, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Dekrete: Auf ihrer Basis wurden die Deutschen enteignet und vertrieben, und zwar nicht weil sie Nazis waren, sondern weil sie Deutsche waren. Die offizielle Vertreibung war also nichts anderes als eine ‘ethnische Säuberung’. Die sudetendeutsche Politik sollte weiterhin für die offizielle Aufhebung  der Benesch-Dekrete kämpfen, auch wenn dies sehr schwer scheint.“ Dieser Appell erschien unter der Überschrift „Die Würde der Sudetendeutschen wiederherstellen“. 

Aktuell macht der Spitze der Sudetendeutschen Landsmannschaft noch etwas anderes zu schaffen. Ihre umstrittene Satzungsänderung (Verzicht auf die Zweckbestimmung „Wiedergewinnung der Heimat“) wurde vom Landgericht München I im Januar wegen eines Formfehlers gekippt, vom Registergericht war sie bereits im Mai vergangenen Jahres zurückgewiesen worden. Posselt und seine Vertrauten ficht das offenbar nicht an. Sie verteidigen ihren „Reformkurs“ in der Öffentlichkeit und provozieren aufs neue juristische Auseinandersetzungen.