© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Sinkende Zahlen, steigende Kosten
Asylkrise: Da derzeit weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, stehen viele Erstunterkünfte leer. Doch vor allem die Probleme der Kommunen wachsen
Christian Schreiber

Der ganz große Flüchtlingsstrom scheint erst einmal gestoppt zu sein. Doch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) warnte am Wochenende vor der Annahme, daß die Krise überstanden sei. Der jetzige Zustand sei einzig der Tatsache zu verdanken, daß die Balkanländer ihre Grenzen geschlossen hätten. 

In der Bundesrepublik beginnt man, sich mit der veränderten Situation auseinanderzusetzen. In den Flüchtlingsunterkünften der Länder sind derzeit mehr als 155.000 Plätze nicht belegt. Das ergab eine Umfrage der Rheinischen Post bei den Landesregierungen. Allein in Nordrhein-Westfalen stehen mehr als 40.000 der etwa 65.000 Betten in Regel- und Notunterkünften leer. In Sachsen waren von 17.615 Plätzen zur Erstunterbringung nur 2.517 mit Flüchtlingen belegt. In Baden-Württemberg sind aktuell rund 6.800 Asylbewerber auf Einrichtungen verteilt, in denen es Raum für etwa 30.000 Menschen gäbe. Während einige Länder bereits damit begonnen haben, ihre Kapazitäten abzubauen, trauen andere dem Braten noch nicht, da der Bund derzeit keine Prognose abgibt, wie viele Flüchtlinge 2016 kommen werden.

Für die Bundesländer bedeutet dies zumindest eine vorübergehende Beruhigung, war die Unterbringung der Flüchtlinge doch bis zuletzt ein Provisorium. In Nordrhein-Westfalen gab es zuletzt Proteste, weil in Zeltunterkünften Temperaturen von mehr als 40 Grad herrschten. Ein Behördensprecher erklärte, man habe die Bewohner tagsüber einfach ins Freie geschickt. Kommunen in der ganzen Republik setzen zur Bewältigung der Asylkrise auf die Hallen des Berliner Herstellers Paranet. In 35 Traglufthallen sind deutschlandweit nach Firmenangaben rund 10.000 Flüchtlinge untergebracht. Laut Paranet-Geschäftsführer Jürgen Wowra wirkten die Hallen bei sommerlichen Temperaturen „wie ein Gewächshaus“. Bei einer Außentemperatur von 27 Grad könnten in der Halle durchaus 33 Grad erreicht werden. Der Hersteller will die Zelte nun mit Wasserkühlsystemen ausstatten, was zu zusätzlichen Kosten führen würde. 

Zahl der Anschläge gestiegen

In vielen Städten wurden Turnhallen und andere Sporteinrichtungen quasi beschlagnahmt, die nun nach und nach wieder freigegeben werden. Die Kosten, die für die Renovierungsmaßnahmen entstehen werden, sind derzeit allerdings noch nicht abzusehen. Im Berliner Olympiapark wurden zwei Hallen wieder freigegeben. Beide Turnhallen wurden im vergangenen September als Notunterkünfte für Flüchtlinge eingerichtet. Doch weil sich die Situation mittlerweile „erheblich entspannt“ hat, wie Sozialsenator Mario Czaja (CDU) dem RBB sagte, sind dies nun die ersten beiden Hallen, die freigezogen werden können. Noch im Mai sollen sechs weitere Turnhallen geräumt werden können. Die Hallen dienten zuvor entweder als Einrichtungen für Leistungssportler oder für Schulklassen und Freizeitsportler. Eine zeitnahe Nutzung ist derzeit nicht in Sicht, „vor allem in den Sanitärbereichen“ bestehe erheblicher Sanierungsbedarf. Der Landessportbund ging zuletzt von Schäden in Höhe von 3,7 Millionen Euro aus. 

Den Kommunen fällt es schwer, das finanzielle Ausmaß der Flüchtlingskrise zu beziffern. Eine Recherche mehrerer Medien ergab, daß zwei Drittel der zuständigen Behörden nicht beziffern können, wieviel sie für Flüchtlinge eigentlich ausgeben – obwohl die Versorgung Milliarden kostet. „Wir haben momentan keinen Überblick, welche Kosten in den Kommunen tatsächlich anfallen“, sagte der Finanzexperte des Deutschen Städtetags, Hartmut Dedy. Die Ausgaben-Schere geht dabei weit auseinander. Die monatlichen Kosten pro Flüchtling liegen dabei zwischen 120 und mehr als 288 Euro. Auch die Tagespauschalen, die Städte und Gemeinde an private Heimbetreiber zahlen, gehen stark auseinander. Sie liegen zwischen drei Euro und 50 Euro pro Flüchtling. Zum Teil ist dies wohl mit regionalen Unterschieden wie bei den Mietpreisen zu erklären, teilweise haben die Kommunen wohl auch schlecht verhandelt.

Unterdessen ist die Zahl der Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte stark angestiegen. Das Bundesinnenministerium listet in einer jetzt veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im ersten Quartal 347 Attacken auf. Das sind mehr als dreimal soviel wie von Januar bis März 2015 und das Zehnfache der Angriffe im gleichen Zeitraum 2014.