© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Ein Dualismus, der nie einer war
Gernot Volger und der Kampf um die Hegemonie zwischen Deutschland und den USA
Klaus Hornung

Das voluminöse Werk von Gernot Volger beruht auf der These, Deutschland und die Vereinigten Staaten seien in beiden Weltkriegen zu militärischen Gegnern geworden, weil die USA beide Male eine Niederlage Englands nicht hinnehmen wollten. So seien aus der britisch-deutschen Gegnerschaft auch deutsch-amerikanische Kriege geworden. Wenn der Autor gar von einem amerikanisch-deutschen „Kampf um die Weltherrschaft“ spricht, will das aber nicht recht einleuchten.

Die Darstellung des Aufstiegs der beiden späteren Kontrahenten im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu Wirtschaftsmächten ersten Ranges und auch das dazu ausgewertete umfangreiche wirtschaftshistorische Material sind eindrucksvoll, nicht weniger die biographischen Essays wichtiger Protagonisten Amerikas im 19. und 20. Jahrhundert, etwa Theodore Roosevelts, Woodrow Wilsons, Franklin Delano Roosevelts bis zu George W. Bush. Das verdeutlich anschaulich die Entwicklung der amerikanischen Staatsdeologie von ihren calvinistisch-puritanischen Wurzeln zu den bis heute wirksamen missionarischen und messianischen Antrieben der Machteliten, die das „manifest destiny“ ihres Landes als göttlichen Auftrag auf dem Weg zum Fortschritt nicht nur des eigenen Landes, sondern der Menschheit verstehen. 

Dieser Geist hatte schon Wilson bewegt, als er sein Land in den Ersten Weltkrieg führte. Er war erneut bei Franklin D. Roosevelt wirksam, als er die USA durch Planökonomie und Staatsbürokratie modernisierte und Schritt für Schritt auf die Auseinandersetzung mit dem gefürchteten Deutschen Reich unter Hitler vorbereitete, auch durch die Aufrüstung einer machtvollen Flotte und Luftmacht. Die Vorgeschichten beider Kriege sind weit gefächert. 

Gewiß verfocht Hitler seit 1935 eine aggressive Hegemonialpolitik in Eu-ropa. Doch seine eurozentrische Weltsicht unterschied sich weit von seinen späteren Kriegsgegnern Roosevelt und Churchill, die aus Staaten mit maritimer und geostrategischer Weltperpektive stammten und dort ihre Prägung erfuhren. Der deutsche Diktator konzentrierte sich hauptsächlich auf seine imperialen Träume „im Osten“. Ihm fehlten zu Amerika Interesse und Kenntnisse. Seine Aufrüstung blieb kontinental, den Schwerpunkt bildeten Panzer und Massenheere. Während die angelsächischen Seemächte auf Flotten und militärische Massenproduktion setzten, griff Hitler am 22. Juni 1941 die Sowjetunion an und ging davon aus, sie rechtzeitig zu besiegen, ehe die Vereinigten Staaten überhaupt in den europäischen Konflikt einzugreifen drohten. 

Man kann kaum von seinem Willen  zur Weltmacht sprechen als Voraussetzung zu einem Hegemonialkrieg mit der atlantischen Macht. Stattdessen begann der Zweite Weltkrieg bekanntlich durch die Hintertür mit dem Luftangriff der Japaner gegen die US-Pazifikflotte auf Hawaii. Der Diktator meinte nun, seinem ostasiatischen Verbündeten durch seine Kriegserklärung an Amerika am 11. Dezember 1941 beispringen zu müssen. Roosevelt war damit den Widerstand in seinem Land gegen den Krieg los und nun entschlossen, ihn an beiden Fronten kompromißlos zu führen, immer mit dem Vorrang gegen Hitler und in Europa und mit dem klaren Ziel, die globale Hegemonie Amerikas dadurch auszuweiten und zu festigen.Deutschland war durch die gegen die Sowjetunion gebundenen Kräfte nie in der Lage, sich überhaupt als hegemonialer Gegner der USA und gar im „Kampf um die Weltmacht“ gegen sie zu etablieren. 

Geschichtlicher Abstieg der USA steht noch bevor

Gegenüber dem besiegten Deutschland konnten die USA es sich leisten, auf einen „karthagischen Frieden“, wie ihn sich manche Hardliner unter den Siegermächten 1945 ausmalten, zu verzichten und Realpolitik zu betreiben, die Einbindung zunächst des westdeutschen Teilstaates in eine von den USA geführte transatlantische Nato und später auch  seinen wirtschaftlichen Wiederaufstieg zu unterstützen. 1989/91 zeichnete sich der amerikanische Sieg im Kalten Krieg ab, das Ende der Sowjetunion, die Wiederherstellung der deutschen Einheit und der Durchbruch der Vereinigten Staaten zur „einzigen Weltmacht“ (Zbigniew Brzezinski), zur „Hypermacht‘‘ , wie der Verfasser sagt. Gesamtdeutschland wurde rasch zum wichtigsten Verbündeten in Europa. 

Das Selbstgefühl der amerikanischen Machtelite kannte kaum noch Grenzen, als am Anfang seiner Amtszeit US-Präsident George W. Bush verkündete, die Vereinigten Staaten könnten nun „die Welt durch militärische Stärke beherrschen“. Spätestens die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die danach folgenden Militärinterventionen der Bush-Regierung in Afghanistan und im Irak zeigten, daß dieser Anspruch nur bedingt erfüllt werden konnte. Zwar konnten schnelle Erfolge gegen die Taliban und den irakischen Diktator Saddam Hussein erzielt werden. Um diese Siege aber als Besatzungsmacht zu sichern, reichten die Kräfte nicht aus.

Gernot Volger analysiert zwar, daß der geschichtliche Abstieg der Supermacht noch auf sich warten lasse. Doch die Indizien wachsen, daß eine Zäsur längst erreicht ist, man denke nur an die gigantischen Staatsschulden mit nun mehr als 19 Billionen (19.000 Milliarden) Dollar. Gegenmächte haben begonnen, sich als ernsthafte Rivalen zu etablieren, vor allem China, aber zumindest militärisch auch wieder Rußland. Wenigstens die wirtschaftsstarke EU konnte nicht das Potential entfalten, sich als ein politisch gleichwertiger globaler Mitspieler zu entfalten.

Doch die Vereinigten Staaten behaupten sich eben noch als „Weltrichter, Weltpolizist“ und als führende Weltwirtschaftsmacht, von der de Gaulle einst gesagt hatte, sie habe eine weltweite „kolossale Vorzugsstellung“ inne. Natürlich haben auch militärischer Konflikte – man hat wenigstens 16 große kriegerische Interventionen seit 1945 gezählt – zu dieser Vormachtsstellung beigetragen. Aber ein hegemonialer Krieg, ein eigentlicher „Kampf um die Weltherrschaft“ zwischen den Vereinigten Staaten  und Deutschland hat im 20. Jahrhundert nicht stattgefunden. In den Kriegen und  Konflikten zwischen 1917 und 1945 waren zu viele andere Akteure und Faktoren „im Spiel“, um sie auf die griffige Formel des Autors bringen zu können.

Gernot Volger: Kampf um die Weltherrschaft. Deutschland und die Vereinigten Staaten im 20. und 21. Jahrhundert. Helios Verlag, Aachen 2015, gebunden, 755 Seiten, 34 Euro