© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Trockenstreß, Schädlinge und mehr Extremwetter
Der deutsche Wald im Klimawandel: Gewinner und Verlierer schälen sich heraus / Mehr Schadholzaufkommen / Stabile Mischbestände?
Christoph Keller

Das mit Spitzengeschwindigkeiten von 192 Kilometern in der Stunde wütende Orkantief „Niklas“ verheerte im März/April 2015 nicht nur den südlichen Schwarzwald. Allein in Baden-Württemberg hinterließ es eine Million Festmeter Schadholz. In den Wäldern im Süden Bayerns war ein außerplanmäßiger Holzeinschlag von 2,5 Millionen Festmetern zu beklagen. Nordostwärts rasend, hatte „Niklas“ noch Kraft genug, die Wälder Thüringens und Mecklenburg-Vorpommerns zu lichten, wo 300.000 Festmeter in die Sägewerke abzutransportieren waren.

Steigender Krankheits-und Schädlingsbefall

Ungeachtet einer derart breiten Spur der Verwüstung, spielt „Niklas“ in den jüngsten Analysen zur Waldschutzsituation in den betroffenen Bundesländern (AFZ-Der Wald, 7/16) eine erstaunlich geringe Rolle. Die Hauptaufmerksamkeit der amtlichen Forstschützer gilt vielmehr akuten und zu erwartenden Schäden, die in engem Zusammenhang mit dem Klimawandel gesehen werden. Primär unter diesem Aspekt, als Anzeichen für sich häufender Extremwetterereignisse, findet auch „Niklas“ Beachtung.

Daß extreme Sturmereignisse als Folge des Treibhauseffektes in Europa zukünftig an Häufigkeit, Dauer und Intensität gewinnen, vermittelt heute jedes Klimaszenario als gesicherte Erkenntnis. In den Wäldern jedoch bereits wahrnehmbare, obgleich weitaus weniger spektakulär als Orkane in Erscheinung tretende, aber gravierendere Veränderungen scheinen hingegen nur Forstexperten zu interessieren.

Dabei zeigen aktuelle Zustandsbeschreibungen, daß solche Veränderungen in Form vermehrter Trockenheiten, verlängerter Vegetationsperioden, erhöhtem Krankheits- und Schädlingsbefall, die deutschen Wälder längst erfaßt haben. So betont etwa Anett Wenzel vom Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum in Gotha, daß sich der Trend von 2014, dem wärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, 2015 und im Winter 2016 fortsetzte, was in Thüringen prompt zur markanten Vermehrung rinden- und holzbrütender Baumschädlinge wie dem Buchdrucker oder nadel- und blattfressender Insekten wie dem Eichenprozessionsspinner führte.

Bedingt durch die zu warme Witterung habe das durch pilzliche Krankheitserreger verursachte Eschentriebsterben in Thüringen inzwischen sogar „flächendeckende“ Ausmaße erreicht. Zu den unangenehmen Überraschungen, mit denen sich auch die Waldschützer in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg konfrontiert sehen, gehörte überdies die Zunahme von Mäusepopulationen. Probefänge im August 2015 bewiesen, wie sich die Nager, die Wurzeln und Rinden fressen, auf „hohem Niveau“ ausbreiten. 

In Süddeutschland begünstigten warme, trockene Sommer und milde Winter weniger die Mäuse als die „Klassiker“ unter den Baumfeinden: Buchdrucker, Kupferstecher. Die durch diese Borkenkäferarten an Baden-Württembergs Fichten angerichteten Schäden bewegten sich 2015 mit 382.000 Festmetern bei dem rund 1,7fachen des Vorjahrs, wie Horst Delb von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg meldet. Entsprechend vergrößerten sich die von Borkenkäfern befallenen Flächen von 2014 auf 2015 um das 2,4fache. 

In der nordbadischen Oberrhein­ebene leiden die Kiefern unter anderen Klimaprofiteuren, den Misteln, pflanzlichen Parasiten. Rechne man die Bedrohung der Jungwüchse von Laubhölzern durch die Massenvermehrung des Waldmaikäfers hinzu, stehe die Forstwirtschaft gerade dieser Region offensichtlich vor einer „großen Herausforderung“. In allen südwestdeutschen Regionen habe sich das Eschentriebsterben beschleunigt. Fast 19.000 Hektar Schadfläche seien von dem Pilz Hymenoscyphus fraxineus befallen, die Hälfte davon, so schätzt Delb, „bestandsbedrohend“.

Erhöhte Gefahrenlage für die Fichtenwälder

Wie Delb, so erwarten auch seine Kollegen von der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft für 2016 eine weitere Zustandsverschlechterung ihrer Wälder. Die Hitzeperiode des letzten Sommers, mit Rekordwerten von 40,3 Grad Celsius im unterfränkischen Kitzingen, sei ideal für Borkenkäfer gewesen. Sie verkürzte die Entwicklungsgeschwindigkeit der Käferbruten von zehn auf fünf Wochen.

Daher hätten Buchdrucker und Kupferstecher in tieferen Lagen Bayerns eine dritte Generation anlegen können, die während des warmen Herbstes aufwuchs. Dank des milden Winters stünden diese ausflugbereiten Jungkäfer mit ihrer hohen Populationsdichte nun bereit, um die Gefahrenlage für die Fichte, den „Brotbaum“ der mitteleuropäischen Forstwirtschaft, gegenüber 2015 „deutlich zu verschärfen“.

Jenseits solcher dem Gegenwartshorizont verhafteten pessimistischen Lagebeurteilungen richten Hans Pretzsch und Thomas Rötzer vom Lehrstuhl für Waldwachstumskunde an der TU München den Blick in eine hellere Zukunft (Geographische Rundschau, 3/16). Denn der Klimawandel müsse für Europas Wälder nicht notwendig nur von Nachteil sein. Gäbe es doch ausweislich aller Simulationsstudien bis zum Jahrhundertende Gewinner und Verlierer.

Zu letzteren würde aufgrund steigender Temperaturen, Trockenstreß, Sturmschäden und Schädlingsbefall die Fichte gehören. Als relativ trockenresistenter Tiefwurzler dürfte indes die Kiefer absehbare Klimaextreme gut überstehen, ebenso wie Ahorn, Kirsche, Esche, Linde. Empfehlungen des Umweltbundesamtes (UBA) aufgreifend, halten es Pretzsch und Rötzer mit einer alten Börsianer-Regel: Risikostreuung.

Daher sollten Waldbesitzer langfristige Strategien wählen, um wesentlich strukturreichere Wälder mit angepaßten Artenkombinationen aufzubauen. Dann dürften stabile Mischbestände, bereichert um Fremdbaumarten wie die nordamerikanische Douglasie, mit hoher Wuchsleistung, Widerstandskraft sowie Streß- und Risikoanpassungsfähigkeit den Herausforderungen des Klimawandels trotzen.

AFZ-Der Wald – Allgemeine Forstzeitschrift für Waldwirtschaft und Umweltvorsorge: www.forstpraxis.de