© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Auf eigene Faust
AfD: Partei will wachsende Zahl der Übergriffe dokumentieren und Opfern helfen
Marcus Schmidt

Brandanschläge auf Fahrzeuge, Schüsse auf Parteibüros, eingeschmissene Fensterscheiben, Überfälle auf Wahlkampfstände, Farbschmierereien, zerstörte Wahlplakate, gekündigte Veranstaltungsräume, Veröffentlichung sensibler privater Daten von Mitgliedern im Internet: die Liste der Angriffe auf die AfD ist lang. Vor allem die Gewaltwelle trifft viele der aus bürgerlichen Kreisen stammenden AfD-Mitglieder, von denen so manche erstmals in der Öffentlichkeit politisch aktiv geworden sind, meist völlig unerwartet. Niedersachsens AfD-Chef und Bundesvorstandsmitglied Armin-Paul Hampel schätzt, daß es seit Gründung der AfD 2013 bereits mehrere Tausend Übergriffe gab.

Mit der Solidarität der anderen Parteien kann die AfD dabei nicht rechnen. Im Gegenteil. So twitterte SPD-Vize Ralf Stegner Anfang Mai: „Fakt bleibt, man muß Positionen und Personal der Rechtspopulisten attackieren,weil sie gestrig, intolerant, rechtsaußen und gefährlich sind!“

Mitglieder sollen für Betroffene spenden

Die Nachfrage der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch („Was hätten Sie wohl gesagt, wenn wir zur ‘Attacke’ gegen das ‘Personal’ der SPD aufgerufen hätten?“) ließ Stegner unbeantwortet. Immerhin schrieb Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in der vergangenen Woche ebenfalls bei Twitter: „Gewalt darf niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Wer AfD-Mitglieder bedroht oder attackiert, hat nichts verstanden.“

Doch die AfD ist längst entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und „Verstand gegen Gewalt“ zu setzen, wie es auf der Internetseite der „Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter“ (ZES) heißt. Der Name ist kein Zufall. Vorbild für die ZES ist die 1961 in der Bundesrepublik gegründete Zentrale Beweismittel- und Dokumentationsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter. Bis zum Ende der DDR dokumentierte die Behörde 42.000 Menschenrechtsverstöße des SED-Regimes gegen die eigenen Bevölkerung. Nach der Wiedervereinigung wurden die Akten an die zuständigen Staatsanwaltschaften übergeben und dienten unter anderem als Grundlage für die Prozesse gegen die Verantwortlichen für die Schüsse an der innerdeutschen Grenze. 

Den Anstoß für die nun erfolgte Neugründung hatte Hampels niedersächsischer Landesverband gegeben. Auf dem AfD-Bundesparteitag in Hannover Ende November vergangenen Jahres stellte er die Initiative unter dem Beifall der Delegierten vor. „Wir wollen damit auch die anprangern, die sich aus den etablierten Parteien mit klammheimlicher Freude dieses Mobs bedienen“, sagte Hampel. 

  Erfaßt werden sollen unterschiedliche Kategorien von Angriffen: Neben Übergriffen auf Personen mit Körperverletzung oder schwerer Körperverletzung (mit dokumentierten körperlichen Schäden) sind auch die Kategorien Sachbeschädigung (Zerstörung von Plakaten, leichte Beschädigungen an Gebäuden, Gebrauchsgegenständen und Einrichtungen), schwere Sachbeschädigung sowie Diskriminierung (Kündigung durch den Arbeitgeber aufgrund von Parteimitgliedschaft, Absage von gebuchten Räumlichkeiten) auf der ZES-Internet-seite vorgesehen. Doch nur Straftaten, die über ein polizeiliches Aktenzeichen verfügen, also zur Anzeige gebracht wurden, werden auch tatsächlich dokumentiert. Dafür steht auf der Internetseite ein spezieller Erfassungsbogen bereit. Die gesammelten Daten sollen statistisch aufbereitet und in regelmäßigen Abständen veröffentlicht werden, um das Ausmaß der Angriffe auf die AfD zu dokumentieren. Ende August will Hampel den ersten Bericht vorlegen. 

Gleichzeitig bietet die Zentralstelle an, betroffene AfD-Mitglieder in rechtlichen Fragen zu beraten. Aus Reihen der AfD haben sich laut Hampel hierfür bereits 25 Rechtsanwälte gemeldet und ihre Hilfe angeboten. Gleichzeitig sollen die bislang acht ehrenamtlichen  ZES-Mitarbeiter, darunter Staatsanwälte, Richter und Polizisten, in „herausragenden Fällen“ bei den Behörden nachhaken.

Das Sammeln und Dokumentieren der gewalttätigen Übergriffe ist das eine, die Hilfe für die Opfer etwas anderes. Hampel berichtet von einem AfD-Mitglied, das für sich und seine Familie gerade ein Haus gebaut hatte. Über Nacht beschmierten Unbekannte das Haus mit Farbe und outeten den Familienvater als AfD-Mitglied. „Die Reinigung kostet einige hundert Euro. Der Mann kann die Kosten allein nicht aufbringen“, erzählt Hampel.

Um in solchen Fällen künftig zu helfen, plant die AfD eine parteiinterne Hilfsorganisation, die den Namen „Alternative Hilfe“ tragen könnte. Der Bundesvorstand entscheidet möglicherweise noch in dieser Woche darüber. Doch noch ist kein Geld da, daß die Organisation verteilen kann. „Wir werden unsere Mitglieder um Spenden bitten“, sagte Hampel. Er könne sich etwa vorstellen, daß die AfD-Mitglieder jeweils auf den monatlichen Mitgliedsbeitrag freiwillig einen Euro draufschlagen. „Bei 20.000 Mitgliedern würde da schon eine ordentliche Summe zusammenkommen“, hofft Hampel.