© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Gefangen im Hamsterrad
Burnout: Ist Ausgebranntsein der gesundheitliche Preis für unsere moderne Arbeitswelt – oder verbirgt sich dahinter bloß ein Modewort?
Katharina Puhst

Schnell in die Schuhe und raus aus dem Haus. Elke H. bringt ihre Kinder zur Schule und in den Kindergarten, bevor um acht Uhr ihre Arbeit im Sozialamt beginnt. Auf dem Korridor tummelt sich eine Schar Menschen, die darauf wartet, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Tag wird lang. 

„Wenn ich die Masse sehe, befällt mich hin und wieder noch ein Gefühl der Leere. Viele dieser Menschen werden mit derselben Perspektivlosigkeit, mit der sie kamen, wieder aus dem Büro treten. Ich kann nicht allen helfen. Das mußte ich lernen“, schildert die 38jährige alleinerziehende Mutter ihren Zustand mit abwesendem Blick. Vor acht Monaten dann der Befund: Burnout. Elke wurde zwei Monate krank geschrieben. 

Das Syndrom ist in der Medizin umstritten

„Es war ein langsamer Prozeß, den ich zwar wahrnahm, aber nicht aufhalten konnte. Wie ein Schleier legten sich über mich negative Gedanken und existentielle Fragen, die mich irgendwann einkreisten. Mein Schlaf wurde unruhiger, und ich war immer müde. Die Arbeit litt bereits lange darunter, denn nicht nur mein Tempo hatte nachgelassen, sondern auch meine Motivation. Dazu entwickelte sich eine Migräne, die fast wöchentlich auftrat. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr. Die Arbeit, die Spannungen im Kollegium, die Kinder, der Haushalt, es war zuviel. Ich dachte den Boden unter den Füßen zu verlieren.“ 

Betroffene klagen über allgemeine Erschöpfung. Sie fühlen sich körperlich, emotional und mental ausgelaugt, während sie das Gefühl haben, den Anforderungen nicht mehr gerecht zu werden, sei es im Beruf oder im Privatleben. Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme, Herzrasen, Rückenspannungen oder Migräne sind weitere Symptome, die auf den Beginn einer Erkrankung hindeuten. Doch viele Menschen nehmen sie nicht als solche wahr oder ignorieren sie bewußt, indem sie zu Aufputsch- oder Schmerzmitteln greifen. Bis sie die Realität einholt. Die Energiereserven sind aufgebraucht und der Körper ausgebrannt.

Auch Niklas brauchte Zeit, um das Ausmaß und die Summe seiner Symptome zu erfassen. Hoher Blutdruck, Rückenprobleme und Nervosität begleiteten ihn durch den Alltag. Als Lektor kämpft er täglich mit Manuskripten, die er Korrektur lesen muß. „Lesen ist meine Leidenschaft. Deshalb macht es mir auch nichts aus, Manuskripte mit nach Hause zu nehmen und am Wochenende zu arbeiten. Das mache ich gerne“, beteuert er in der Selbsthilfegruppe und fügt hinzu, daß es im Laufe der Zeit immer mehr Manuskripte wurden, die er nicht mehr zu bewältigen wußte: „Es war wie ein Zwang. Ich las in jeder freien Minute, denn ich wollte bei meinen Vorgesetzten einen guten Eindruck erwecken.“ 

Doch das Gegenteil war der Fall. Seinen Übereifer, erzählt der 41jährige mit gesenktem Blick, habe er auf seine Kollegen projiziert, die diesen nicht hatten. Dafür habe er sie insgeheim sogar verachtet, denn es sei ihm unerträglich gewesen, jemanden zu sehen, der nicht mindestens so leistungsorientiert war wie er. Große Spannungen entstanden, die letztlich seine Vorgesetzten alarmierten.

Hierbei könnte es sich nach Einschätzung von Psychotherapeuten um eine Art der Depersonalisierung handeln, eine Entfremdung von sich selbst und anderen. Der Burnout-Betroffene distanziert sich von seiner Familie, seinen Freunden, den Kollegen und der Arbeit und reagiert ihnen gegenüber mit Zynismus.

Burnout ist in der Medizin umstritten. Oft unerkannt, da die Symptome unterschiedlich ausfallen und somit nicht immer augenscheinlich auf Ausgebranntsein verweisen. So gibt es auch keine feststehende Definition. Umschrieben wird es mit emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und verminderter Leistungsfähigkeit. Andere Definitionen bezeichnen Burnout als einen Erschöpfungszustand nach vorangegangenem Prozeß hoher Arbeitsbelastung, Streß oder Selbstüberforderung.

Im Gegensatz dazu versteht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter Burnout „Schwierigkeiten bei der Lebensführung“. Statt dessen ist das Syndrom im Katalog der internationalen Klassifizierung von Krankheiten unter den sogenannten Z-Diagnosen für „gesundes Leiden“ gelistet. Sie umfassen Vorsorge- und Nachuntersuchungen in gleichem Maße wie Probleme am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Lebensführung oder auch unspezifische Beschwerden ohne Krankheitswertigkeit und gelten zugleich als „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“. Bei Burnout übernehmen die Krankenkassen daher in der Regel die Behandlungskosten. Ist das Syndrom also nur eine Alltagsbeschwerde?

Diese Ansicht vertritt zumindest der Psychiater, Klinik-Chef und Bestsellerautor Manfred Lütz, für den Burnout nichts weiter ist als „ein Mischmasch an Beeinträchtigungen, die mehr oder weniger jeder mal hat“. Häufig seien das Lebenskrisen, für deren Bewältigung der Betroffene sich einen Gesprächspartner mit „echter Lebenserfahrung“ suchen sollte, betonte er in einem Interview. 

Tatsächlich krank seien die an Depressionen leidenden Menschen, die lange auf eine Behandlung warten müssen, weil ihnen gesunde Menschen die Therapieplätze wegnehmen. Dabei fällt Ärzten die Unterscheidung von Depression und Burnout nicht immer leicht. „Wenn jemand sagt, er habe ein Burnout, dann kann er eine wirklich schwere Depression haben, aber möglicherweise hat er auch nur eine harmlose Befindlichkeitsstörung“, bestätigt Lütz mit Fingerzeig auf den pauschalen Umgang mit dem Syndrom.

Schwierige Abgrenzung  gegenüber Depressionen

Seit 2013 sind die Zahlen der Burnout-Patienten rückläufig. Dafür steigt die Quote der an Depression Leidenden. Der WHO zufolge sind derzeit fünf Prozent der deutschen Bevölkerung im Alter von 18 bis 65 Jahren an einer behandlungsbedürftigen Depression erkrankt. Darunter befinden sich auch Burnout-Erkrankte. Das entspricht circa 3,1 Millionen Menschen. Werden auch Minderjährige und Rentner berücksichtigt, liegt die Zahl bei ungefähr vier Millionen. Dabei übersteigt der Frauenanteil bei psychischen Krankheiten den der Männer um beinahe das Doppelte, denn sie haben neben der Berufstätigkeit oft auch noch Haushalt und Kinder zu versorgen. 

Wenn sich in den siebziger Jahren nur zwei Prozent aller Ausfalltage auf seelische Erkrankungen zurückführen ließen, so sind es laut BKK-Bundesverband heute 15 Prozent. Die durchschnittliche Ausfallzeit bei Depressionen beträgt etwa 58 Tage und hat sich gegenüber dem Jahr 2003 mehr als verdoppelt. Damit belegten seelische Leiden im Jahr 2014 den zweiten Rang unter den wichtigsten Diagnosegruppen. Burnout-Betroffene allein betrachtet, sind aufgrund der häufigen Deckung mit einer Depression statistisch nur schwer erfaßbar.

Der Begriff Burnout erweckt den Eindruck, der Betroffene habe sich etwas hart erarbeitet und dabei zuviel getan. Auf diese Weise begründen Kritiker die Beliebtheit der englischen Bezeichnung, die durchaus attraktiver als „Depression“ klingt. Außerdem sehe sich die Person in der Opferrolle und verweise damit auf einen schlimmen Chef sowie unmenschliche Arbeitsbedingungen denn auf Eigenverantwortung.

Das Phänomen ist jedoch nicht neu. Daß gerade in den vergangenen Jahren viel darüber berichtet wurde, „liegt daran, daß die Menschen heutzutage offener über psychische Krankheiten sprechen als vor 60 Jahren, als es die Selbstdisziplin verbot“, erläutert die Ärztin Ira Brilla-Austenat im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Zu Kriegszeiten mußten die Menschen größere Anstrengungen erdulden. Gemessen daran, müßten heute alle Menschen glücklich sein.“ Im Burnout erkennt Brilla-Austenat ein „Modeschlagwort“, das einen Krankheitszustand benennt: „Eine Diagnose-Erkenntnis hat oft etwas Entlastendes für den Betroffenen, denn seine Krankheit hat nun einen Namen, an dem er sich festhalten kann. Die Diagnose wurde ja festgestellt.“ Krank seien deshalb noch lange nicht alle.

Für psychische Erkrankungen als besonders gefährdet gelten Berufsgruppen, die große Verantwortung oder Hilfeleistungen für andere erbringen und somit Druck ausgesetzt sind. Dazu zählen Manager, Journalisten, Autoren, Verleger, Lehrer, Ärzte, Altenpfleger und Berufe im öffentlichen Raum sowie in sozialen Einrichtungen. Über Monate hinweg entwickeln sich Beschwerden, die besonders Personen treffen, die anfangs sehr motiviert waren und aufgrund mangelnder Anerkennung oder zu geringer Leistung enttäuscht sind. Spezialisten weisen auf eine idealisierte Einstellung der Betroffenen zu ihrer Arbeit und dem Leben hin. Sobald die Realität sie einhole, würden sie vom Gefühl des Versagens gequält.

Ruhe in der Freizeit, ausgewogene Ernährung

Weitere Risikofaktoren sind Perfektionsdrang, ein starkes Verantwortungsgefühl, mangelndes Selbstvertrauen, Streßanfälligkeit, Sensibilität bei Verlusten und Enttäuschungen, Arbeitsunzufriedenheit oder Freudlosigkeit. Zusätzlich begünstigend wirken für eine Burnout-Erkrankung: negatives Betriebsklima, Hektik, Konflikte, Mobbing, Angst vor Arbeitsplatzverlust.

Burnout mit zuviel Arbeit oder schlechtem Arbeitsklima zu begründen, „ist eine gefällige Ausrede“, kritisiert Brilla-Austenat gegenüber der JF. Fest steht, daß mehrere Faktoren, vor allem die eigene Veranlagung im Umgang mit Streß, eine erhebliche Rolle für die Gesundheit spielen. Gesundheitsexperten raten zu einer ausgewogenen Ernährung, zu Freizeit, in der die Menschen die Ruhe genießen sollen, ohne sich durch Smartphones, Internet oder Fernsehen abzulenken. Hektische Situation dürfen kein Dauerzustand sein, sondern sollten sich nach kurzer Zeit wieder auflösen. Als beliebte Entspannungsübungen gelten Yoga, Meditation und autogenes Training. 

Arbeitssitzungen, in denen sowohl die Aufgabenverteilung als auch Probleme mit Kollegen durchgesprochen werden, dienen der besseren Einordnung des einzelnen, damit er nicht den Eindruck gewinnt, er stünde mit seinen Aufgaben allein da. Genauso ermöglichen Zeitmanagementseminare und Gespräche mit dem Vorgesetzten eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. In Therapien können eine bessere Selbsteinschätzung und der Ausbau sozialer Fähigkeiten erlernt werden. Sind die ersten Anzeichen eines Burnouts oder Depression gegeben, gilt: Je früher die Notwendigkeit der Hilfe erkannt und akzeptiert wird, desto besser sind die Therapieaussichten. Kurzfristige Hilfe können Antidepressiva und andere Medikamente bieten. Ansonsten ist der Kontakt zu Freunden und Familie ein wichtiges Standbein im Leben jedes Menschen, denn aufbauende und tröstende Gespräche heben das Selbstwertgefühl an.

Elke bekam Hilfe ebenfalls von einer Freundin. Diese empfahl ihr einen Psychotherapeuten, den zu kontaktieren sie sich zuerst gescheut hatte, gibt Elke zu. Darum besuchte sie zunächst eine Burnout-Selbsthilfegruppe, in der auch Niklas sitzt. „Das Gespräch mit anderen gab mir den Mut, mich endlich in Therapie zu begeben“, räumt die Mutter ein, die mittlerweile ihre Arbeit wieder aufgenommen hat.

Foto: Rennendes Nagetier: Häufige Ursache für Burnout ist auch eine idealisierte Einstellung zu Arbeit und Leben