© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Grüße aus Bern
Es geht um die Wurst
Frank Liebermann

Vor rund 20 Jahren habe ich in dieser Zeitung über die großartige Schaffenskraft des deutschen Metzgerhandwerks philosophiert und dieses intensiv gewürdigt. Nun ist es an der Zeit, eine Fortsetzung zu verfassen, nämlich über die Kunst der Fleischveredelung in der Schweiz. Kurz gesagt: Die Berner Metzger stehen ihren deutschen Berufskollegen in nichts nach. In den verschiedenen Würsten spiegelt sich nicht nur die Vielfalt der Regionen wider, sie zeugt auch von einem hohen Ideenreichtum. Aber eine der vielen Würste überragt alle: der Cervelat. Sie ist die inoffizielle Nationalwurst des stolzen Volkes! Namen hat sie viele: in St. Gallen ist sie der „Stumpen“, in Basel ein „Klöpfer“.

Wer in der Schweiz etwas Landestypisches essen will, kommt um diese rustikale Leckerei nicht herum. Beim Cervelat handelt es sich um eine gekochte Brühwurst, die aus Rind, Schwein, Speck und diversen Gewürzen besteht. Ein Verzehr ist roh, gekocht oder gegrillt möglich. Auch bildet sie eine wichtige Zutat für eine Vielzahl anderer Speisen. So ist sie beispielsweise der Hauptbestandteil des Schweizer Wurstsalats, neben Käse und dem dazugehörigen Gemüse.

Beim offiziellen Anlaß im Bundeshaus, bei privaten Feiern, überall gibt es den Cervelat. 

Als vor vielen Jahren eine Knappheit an Rinderdärmen wegen BSE bestand, in die die Wurst abgefüllt wird, gab es einen nationalen Notstand. Selbst der Bundesrat schaltete sich ein und sicherte den Cervelat mit Darmimporten aus Argentinien. Auch sprachlich dominiert die Wurst den Alltag. Was in Deutschland die B-Promis sind, wird in der Schweiz Cervelatprominenz genannt. 

Nicht zu unterschätzen ist die Rolle dieser Wurst am 1. August, dem Nationalfeiertag. Dann ist es eine alte Tradition, diese Wurst zu verzehren. Beim offiziellen Anlaß im Bundeshaus, bei privaten Feiern, überall gibt es den Cervelat. Eine erste historische Erwähnung in diesem Kontext gab es 1891, obwohl die Wurst schon wesentlich länger existiert. 

Mit einem Vorurteil soll hier aber noch aufgeräumt werden, wenn von Schweizer Wurst die Rede ist. Die immer wiederkehrenden Berichte über die Hunde- und Katzenfresser bei diversen Fernsehsendern wie beispielsweise der britischen BBC sind maßlos übertrieben. Vielleicht gibt es einige wenige verirrte Geister, die so etwas zubereiten und verzehren, aber Katzenragout und Hundewurst sind definitiv nicht weit verbreitet. Die Zahl von Hunderttausenden Schweizern, die so etwas essen würden, ist grundfalsch. Die Schweizer essen Cervelat!