© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Zeitschriftenkritik: Walden
Von der Anziehungskraft des Wassers
Werner Olles

Ein Wind weht von Süd und zieht mich hinaus auf See!“ 1944 versuchte Hans Albers mit „La Paloma“ seiner Liebsten die unstillbare Sehnsucht nach der Ferne und dem Meer zu erklären. Knapp zwanzig Jahre später beschwor Freddy Quinn mit „Junge, fahr nie wieder, nie wieder hinaus“ alle Männer. Aber auf ihn gehört hat niemand, denn der Magnetkraft der See zu widerstehen scheint nicht einfach zu sein. Was man auf dem Weg von einer Landratte zum Seemann alles erleben kann, schildert der Beitrag „Vom Sog des Wassers“ in der aktuellen Ausgabe (1/2016) des zweimal jährlich erscheinenden Magazins Walden (Untertitel: „Wir sind draußen“).

Man muß wahrscheinlich ein bißchen älter sein, um die Anziehungskraft des Wassers zu verstehen, und braucht zudem einen Sinn für Melancholie und Romantik. Was das Meer mit jedem See, jedem Fluß verbindet: Es wechselt seine Farbe je nach Tiefe, Beschaffenheit des Bodens und des einfallenden Lichts. Mal schiefergrau an lichtlosen Tagen, mal smaragdgrün, unergründlich schwarz im November, kochendes Weiß im Sturm, helles Türkis, wenn es flach wird. Die See wandelt sich schnell, und ihr Magnetismus beeinflußt den inneren Kompaß. Und man begreift schließlich, daß noch etwas unter uns lebt, daß das Meer nicht nur Spiel- bzw. Sportarena und Bühne uralter Navigationskunst ist, sondern Heimat anderer Lebewesen. Wenn dann im Herbst die Nebel übers Meer ziehen und die Gänse fliegen, werden die Segel weniger und die Häfen leerer.

Seit Jack Londons einem echten Kapitän nachempfundenen Roman „Der Seewolf“ erleben Abenteurer die See einmal wütend und dann wieder schlafend. Ein Tankerkapitän erzählt, die Ostsee sei „im Prinzip nichts weiter als eine überflutete Wiese“. Manchem reicht es bereits, die Gewässer eines Landes zu durchschwimmen. So faßte der Brite Roger Deakin an einem verregneten Sommertag einen wahnwitzig klingenden Plan: Er will durch alle Gewässer zwischen Südengland und Schottland schwimmen, ob Tümpel, Fluß oder Gebirgssee. Ein Jahr lang ist er unterwegs; als er schließlich ein letztes Mal aus seinem Neoprenanzug steigt, hat sein Blick über die Wasseroberfläche auch seine Perspektive auf die Welt verändert. Der „Froschmann“ träumte von geheimen Badestellen in Flüssen und einer Entdeckungsreise durch das Wasser der wundersamen Inseln. Inspiriert hatte ihn John Cheevers Kurzgeschichte „Der Schwimmer“, deren Held nach einer Party auf Long Island beschließt, seinen Heimweg durch die Swimmingpools der Nachbarn zu schwimmen. Deakin begegnete auf seiner Reise Lachsen und schlug sich mit Hafenwärtern und Privatsheriffs herum. Sein Erfahrungsbericht ist auch ein Plädoyer für den freien Zugang zu den Gewässern, die zusehends durch Verbote und Zäune abgeschottet werden. Ob seine Forderungen Erfolg haben, erlebte er leider nicht mehr: Der Langstreckenschwimmer starb kurz nach Veröffentlichung seines „Logbuchs eines Schwimmers“ an Krebs.

Kontakt: Gruner + Jahr, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg. Das Einzelheft kostet 7,50 Euro. 

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