© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Deutschlands Landschaften sind schön: die Küsten und Berge, Heide- und Moorlandschaften, tiefe Seen, labyrinthische Flußläufe, dunkle Wälder, die geschichtsträchtigen Klöster und Burgen ... Mit vielen Orten verbinden sich zudem Legenden, bekannte und weniger bekannte. Der Geograph und Fotograf Kilian Schönberger hat auf einer Reise quer die Republik viele dieser Orte aufgesucht und in phantastischen Bildern festgehalten. Den Fotos beigestellt sind Texte aus Sagen und Grimms Märchen. Sie erzählen von Piraten, Rittern und Räubern, von Drachen, Nixen, Geistern und Gespenstern und Teufeln. In der Summe ergibt das den prächtigen Bild-/Textband „Sagenhaftes Deutschland. Eine Reise zu mythischen Orten“ (Frederking & Thaler, München), der jeden Cent seines stolzen Preises von 49,99 Euro wert ist. 

„Aktualität ist der Gipfel des Unbedeutenden.“ (Gómez Dávila)

Sollte uns mangelnder Patriotismus vorgeworfen werden, weil wir uns vom Lärm der Politik fernhalten, weiß ich keine bessere Antwort als diejenige, die Anaxagoras in einem ähnlichen Fall jenen gab, die ihm Gleichgültigkeit gegenüber seinem Land vorwarfen, da er sich von ihm zurückgezogen hatte und sich der Suche nach Wahrheit widmete: „Im Gegenteil“, erwiderte er und wies gen Himmel, „ich schätze es unendlich.“ (Gefunden bei Henry D. Thoreau, „Tagebuch I“, Matthes & Seitz, Berlin 2016)

Wer gehört zum Wir, wer zu den Anderen? Einer der scharfsinnigsten Autoren dieser Republik, Michael Klonovsky, legt die Meßlatte dafür sehr hoch: „Meine Nation“, notierte er vorige Woche in seinem Netztagebuch (Acta diurna, 21. Mai 2016), „trifft sich unter dem Zeichen des Violinschlüssels und des Kontrapunkts, von Hexameter und Blankvers, des Malerpinsels und der Radiernadel. Wer Sophokles, Shakespeare, Goethe liest, wer Beethoven hört oder spielt, wer in der Scrovegni-Kapelle zu Padua beglückt erschauert, wessen Blick in den Himmeln Claude Lorrains träumt, wer sich in die Schriften Platons, Kants, Nietzsches, Heideggers vertieft – die Auswahl sei höchst unvollständig, aber durchaus repräsentativ –, ist mein Landsmann. Der Rest nicht. Basta.“ – Nun, nach diesem elitären Maßstab bin ich aus der deutschen Nation ausgebürgert, jedenfalls kein Landsmann von Klonovsky. So schnell kann’s gehen. Eine Reihe seiner Voraussetzungen für die Dazugehörigkeit zum Wir erfülle ich definitiv nicht – wiewohl die meisten Deutschen ebensowenig. Einsamer Michael.