© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Weniger Gestapo als vermutet
Zwei Bochumer Historiker haben die NS-Vergangenheit des Bundesamtes für Verfassungsschutz unter die Lupe genommen
Konrad Faber

Zwar haben die beiden Bochumer Universitätsprofessoren Constantin Goschler und Michael Wala nicht die ultimative Geschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz verfaßt. Doch bietet ihr aus Verfassungsschutzarchiven und CIA-Akten schöpfendes Buch manches Seltsame und Überraschende zum Inlandsgeheimdienst der Bundesrepublik, den heute viele für ein datensammelndes Monster und andere für die Verkörperung von „Pleiten, Pech und Pannen“ halten. 

Keine „neue Gestapo“ sollte der Inlandsgeheimdienst zu Beginn der fünfziger Jahre werden. Obwohl einige frühere NS-Geheimdienstler beim Verfassungsschutz als „freie Mitarbeiter“ oder Beamte dienten, mußten Goschler und Wala erstaunt konstatieren, daß im Verfassungsschutz wesentlich weniger Gestapo-, SS- oder SD-Männer untergekommen sind als beim BND oder beim BKA. 1963 waren es ganze 16 Mitarbeiter, weitaus weniger also, als heute ehemalige MfS-Angehörige bei der Gauck-Behörde tätig sind. 

Viele Grabenkämpfe der Verfassungsschutzämter

Zudem erwies sich eine etwaige NS-Vorbelastung nicht als das eigentliche Problem des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern vielmehr die ihm von den alliierten Siegermächten aufgezwungene mangelnde Weisungskompetenz gegenüber den Landesämtern für Verfassungsschutz in Verbindung mit einer strengen Trennung von polizeilicher und geheimdienstlicher Tätigkeit, was Insider von Anfang an als Fehler erkannten. 

Hinzu kamen charakterliche und moralische Mängel, welche sich bei den Verfassungsschutzmitarbeitern der ersten Jahrzehnte in überaus reichem Umfang bemerkbar machten. Dies gipfelte im Überlaufen des ersten Verfassungsschutzpräsidenten Otto John in die DDR. Selbst Jahre und Jahrzehnte später denunzierte man sich eifrig im Verfassungsschutz und stach gern kompromittierende Details an die sensationslüsterne Presse durch, um dienstliche Konkurrenten zu beseitigen oder sich schlicht für vermeintlich erlittenes Unrecht zu rächen. War einmal ein Bewerber wie der vormalige SS-Mann und CIC-Spitzel Robert Stelljes dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu anrüchig für eine Einstellung, dann fand sich todsicher ein Landesamt für Verfassungsschutz, wie jenes im SPD-regierten Bundesland Bremen, welches ihm anschließend ein Auskommen gab. 

Trotz aller im Buch detailliert geschilderten Skandale und Affären, die Bundesrepublik ist trotzdem keine rechte oder linke Diktatur geworden, und selbst die Agentenflut aus dem Osten hielt man irgendwie im Zaum. Vielleicht hat der 2014 verstorbene Historiker Hans-Ulrich Wehler seinen bescheidenen Anteil daran, weil er sich nämlich 1970 nicht scheute, als damaliger Assistent an der Universität Köln an der nahebei befindlichen Verfassungsschutzschule vor künftigen Geheimdienstlern über die „Entwicklung der Industriegesellschaft in Deutschland“ zu referieren.

Constantin Goschler, Michael Wala: „Keine neue Gestapo“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015, gebunden, 464 Seiten 29,95 Euro