© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Der Flaneur
Dem deutschen Michel zugehört
Claus-M. Wolfschlag

Ich sehe noch den Pulk junger „Antifas“ johlend abziehen, begleitet von Blaulicht und gelangweilten Polizisten. Schon eile ich auf die Gaststätte zu, in der die Vortragsveranstaltung eines in der Presse als „rechtspopulistisch“ bezeichneten Gesprächskreises stattfindet.

Eine Stunde des Referats zu Merkels Verfassungsbruch bekomme ich noch mit, dann dudelt eine Jazz-Combo vor sich hin. Ich nehme mir ein Stück Kuchen. „Und bringen Sie mir noch einen Himbeergeist“, rufe ich der Kellnerin nach. Männer füllen den Raum, großenteils vermutlich schon im Genuß einer passablen Rente. Wenige Junge, wie einzeln verstreute Blümchen. Die Kellnerin stellt mir das Getränk auf den Tisch, als neben mir zwei Herren in karierten Sakkos ins Diskutieren geraten.

„Über Jahrzehnte habe ich CDU gewählt“, sagt er. Ich ordere einen weiteren Himbeergeist.

„Ich bin ja bisher zeitlebens Sozialdemokrat gewesen. Ich bin nämlich einer alten sozialdemokratischen Familie entsprungen“, kokettiert der mit dem Schnurrbart. „Mein Beileid“, knurre ich und kichere. Offenbar etwas zu laut, denn er blickt zu mir herüber. „Noch einen Himbeergeist“, ordere ich rasch und schaue in die andere Richtung. Gegenüber lachen einige dicke „Best Ager“ in bester Laune, mit von Bieren gelockerten Zungen. „Das muß man doch noch sagen dürfen“, meint ein zittriger Alter im Vorbeigehen. Dann setzt sich ein Rentner vor mich und beginnt mich in seinen Monolog zu verwickeln.

„Über Jahrzehnte habe ich CDU gewählt“, sagt er. Ich ordere einen weiteren Himbeergeist, rufe dann: „Ach, bringen Sie mir gleich zwei.“ Der Mann ist nicht zu stoppen: „Aber jetzt, mit Merkel. Das geht nicht mehr, solange diese Frau nicht zurückgetreten ist. Nun weiß man aber gar nicht mehr, wen man denn noch wählen kann.“ Ich kippe eines der Gläschen ex.

„Sie könnten ja bei der nächsten Bundestagswahl ausnahmsweise schauen, ob außer CDU noch etwas auf dem Wahlzettel steht“, antworte ich. Ich trinke den letzten Himbeergeist. Mein Kopf brummt, ich muß an die frische Luft und stehe auf.