© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

„Das können wir auch“
Populismus: Warum der Begriff in einer Demokratie zu Unrecht so verrufen ist
Konrad Adam

Über den Gottseibeiuns der deutschen Politik, den Populismus, ist nicht viel bekannt. Gesehen hat ihn noch niemand; trotzdem glaubt alle Welt, daß er der Inbegriff von allem Bösen sei. Deswegen hört man zu, wenn das renommierte Institut Allensbach mit einem eindeutigen Merkmal aufwartet: Das vielleicht wichtigste Element des populistischen Denkens, verraten die Meinungsforscher in der FAZ, sei die verächtliche Haltung gegenüber der Politik. Der Populist betrachte Berufspolitiker als Leute ohne große Fähigkeiten; sie gelten ihm als ahnungslos und bestärken ihn in seiner Überzeugung, „es besser zu können als die“.

Nimmt man das ernst, reihen sich bei den Populisten Leute von ganz weit oben ein, erfahrene und angesehene Politiker wie beispielsweise der mittlerweile verstorbene frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Der hatte einst auf den Beschluß des Bundestages, die Abgeordnetendiäten im Gleichschritt zu den Bezügen der Bundesrichter zu erhöhen, mit der Bemerkung reagiert: Was ein Bundesrichter können müsse, das wisse er; aber was müsse eigentlich ein Abgeordneter können? Er wußte es nicht; und ich weiß das auch nicht.

Tatsächlich macht die Frage ratlos. Und das nicht nur, wenn man an Volksvertreter wie Sebastian Edathy oder seinen Halb-Kumpan Michael Hartmann denkt. Was sie können, fragt man sich vergeblich, und wie es Edathy sogar einmal zum Vorsitzenden des Innenausschusses bringen konnte, wird wohl für alle Zeit ein Rätsel bleiben.

Nimmt man die Ränge weiter oben in den Blick, kommt man der Antwort auch nicht näher. Man stößt dann auf Männer wie Ronald Pofalla, den früheren Kanzleramtsminister und engen Vertrauten Angela Merkels. Er hatte das Gewissen, auf das sich einer seiner Fraktionskollegen leichtsinnigerweise berufen hatte, kurzerhand „Scheiße“ genannt, und ist für dies mutige  Geständnis mit einer Pfründe im Vorstand der Deutschen Bahn belohnt worden.

Man trifft auf Frauen wie Annette Schavan, die wie manche ihrer Amtskollegen abgepinselt hatte, dabei aber so ungeschickt vorgegangen war, daß man ihr auf die Spur kam und sie zusammen mit ihrem Ministerium auch ihren Doktortitel verlor. Zum Lohn für so viel Einsatz und Erfolg ist sie von ihrer Gönnerin Angela Merkel als Botschafterin an den Heiligen Stuhl nach Rom geschickt worden.

Man erinnert sich an Klaus Wowereit, der seine Karriere dem schlichten Satz verdankt: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so!“ Diese neun Wörter haben ihm nicht nur das Amt eines Regierendenden Bürgermeisters eingebracht, sondern auch den Vorsitz im Aufsichtsrat einer Gesellschaft, die einen Flughafen plant und baut, der nie fertig wird, aber immer mehr kostet, inzwischen an die sieben Milliarden Euro. Nicht doch ein bißchen viel für die Gleichstellung eines Mannes, der seinen Aufgaben nicht gewachsen war?

Das jedenfalls wird man von Dirk Niebel nicht behaupten können; der war und ist zu allem fähig. Aus dem Entwicklungsministerium, das er zunächst abschaffen wollte, hat er, nachdem er es selbst übernommen hatte, ein Reservat für FDP-Schranzen gemacht. Inzwischen ist er bei Rheinmetall gelandet, wo er vom Verkauf der Waffen lebt, mit denen das, was er als Minister aufgebaut hatte, wieder zusammengeschossen werden kann.

Offenbar sind es andere Fähigkeiten, die man braucht, um ein Amt zu ergattern, und andere, die nötig sind, das Amt dann auch zu führen. Der Populismus prangert dies Dilemma an, nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Er erinnert die Parteien daran, daß die Auswahl fähigen Personals zu den Aufgaben gehört, die sie kaum noch erfüllen. Es herrscht ein ärgerliches Mißverhältnis zwischen dem, was eine Regierung zu tun hat, und den Leuten, die sich dazu berufen fühlen.   

Vor diesem Hintergrund ist Populismus, „wenn wir uns an den Wortsinn halten“, tatsächlich, wie Peter Graf Kielmansegg einmal gesagt hat, die Quintessenz der Demokratie. Als Politologe erinnert er uns daran, daß der Begriff in der Verfassungsgeschichte der Neuzeit immer wieder mit positivem Beiklang auftaucht, und bittet, jedem, der namens der Demokratie den Populismus kritisiert, Auskunft über den Inhalt zu geben, den er mit dem Begriff verbinden will. 

Ferdinand I., für kurze Zeit Kaiser von Österreich, galt als ein schlichter Geist. Nach den Unruhen und Aufständen, die im Jahr 1848 ganz Europa erschüttert und auch in Wien ihre Spuren hinterlassen hatten, mußte er abdanken und den Thron seinem Neffen überlassen, dem Kaiser Franz Joseph. Ganz dumm kann Ferdinand aber nicht gewesen sein, denn als er von der für Österreich verhängnisvollen Niederlage gegen die Preußen in der Schlacht von Königgrätz erfuhr, soll er gesagt haben: „Dös hätt i a konnt!“ Was doch ein hohes Maß an Einsicht in sein eigenes Talent und das seines Nachfolgers verrät.

Allensbachs Populisten denken ähnlich. Wenn sie sich die Ergebnisse der Merkelschen Innen- und Außenpolitik vor Augen halten, kommen sie ins Grübeln. Sie sehen, daß diese Frau die CDU programmatisch entkernt und zum Juniorpartner der Grünen heruntergewirtschaftet hat, daß sie die Völker Europas gegeneinander aufbringt und ausgerechnet Erdogan, den neuen Sultan, zum Mitspieler erwählt. Wenn sie sich dann wie Ferdinand I. sagen: „Das hätten wir auch gekonnt!“, ist das kein Ausdruck von Überheblichkeit, sondern ein Zeichen von Realismus.






Dr. Konrad Adam ist Publizist und war zuvor Redakteur bei der FAZ sowie der Welt.