© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

„Was für eine Schieflage“
Helmut Markwort gelang es entgegen allen Voraussagen, mit dem „Focus“ das Monopol des „Spiegel“ zu brechen. Seitdem gilt er als Blattmacher-Legende und als nonkonforme Stimme, die linke Einseitigkeit im Journalismus kritisiert
Moritz Schwarz

Herr Markwort, wenn man Sie nach dem politischen Standort des „Focus“ ...

Helmut Markwort: Oje! Schwierige Frage!

Ist Ihnen die Frage unangenehm?

Markwort: Nein, nur bin ich Herausgeber, nicht mehr Chefredakteur und möchte ungern meinen Nachfolger interpretieren.

Sie sind Erfinder und Gründer und waren 17 Jahre Chefredakteur des „Focus“ – Sie haben das Blatt geschaffen und geprägt!

Markwort: Ja, aber so ein Blatt „lebt“, es entwickelt sich. Und ich habe die Leitung schon vor sechs Jahren abgegeben. 

Wie haben Sie den „Focus“ zu Ihrer Zeit politisch verstanden?

Markwort: Mit dem Focus wollten wir vor allem eines nicht: die Zahl linker Publikationen in Deutschland vermehren. Statt dessen haben wir auf Offenheit gesetzt, haben Themen und Personen gefördert, die sonst nicht vorkamen.

Zum Beispiel?

Markwort: Als wir 1993 an den Start gingen, gab es noch kein Internet, und der Spiegel, das einzige deutsche Nachrichtenmagazin, hatte ein – aus journalistischer Sicht sensationelles, aus demokratischer Sicht bedrohliches – Monopol. Leider hatte sich bei den Hamburger Kollegen eine Kultur des Totschweigens entwickelt; manches und mancher wurde ausgeblendet und blieb auf der Strecke. So bekamen etwa Spiegel-Journalisten von Politikern mitunter nur deshalb Interna zugespielt, weil diese Angst hatten, kämen sie dem Verlangen des Spiegel danach nicht nach, würden sie im Blatt nicht mehr vorkommen. Dieses Monopol haben wir mit Focus geknackt!

Damals wurde Ihnen vorgeworfen, „staatstragend“ zu sein.

Markwort: Diesen wahrlich bescheuerten Vorwurf eines Spiegel-Kollegen habe ich nie verstanden. Wir haben einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Warum den nicht stützen? Auch durch Verbesserungsvorschläge. 

„Nicht die Zahl linker Publikationen vermehren“: Ist eine solche Negativ-Definition als Selbstverständnis nicht zuwenig?

Markwort: Nun, ich würde den Focus als bürgerlich verstehen. 

Was meinen Sie damit? Konservativ?

Markwort: Ganz ehrlich, ich bin mit solchen Begriffen nicht glücklich.

Warum?

Markwort: Sie sind so einengend. Der zentrale Wert, den ich mit dem Focus verbinde, ist die politische, die wirtschaftliche und kulturelle Freiheit, insbesondere die Meinungsfreiheit. Wozu auch die Offenheit gehört, Links und Rechts auch mal zu Wort kommen zu lassen – was das Debatten-Ressort des Focus vorzüglich tut. 

Die Schweizer „Weltwoche“ etwa ist ebenfalls bürgerlich und liberal und wirkt doch politisch viel entschiedener als der „Focus“. 

Markwort: Ich schätze Roger Köppel, der die Weltwoche macht, außerordentlich! Aber mir wäre das zu eng. Focus bietet eine viel breitere Themenpalette. Ich gebe Ihnen ein Beispiel für einen Focus-Beitrag aus jüngster Zeit, den ich originell fand: Statt wie andere Medien über die Islam-Politik der AfD herzuziehen, hat der Focus einen der Vorsitzenden der Partei, Jörg Meuthen, eingeladen, mit einem Imam in einer Moschee ein Streitgespräch zu führen. Ein hochinteressanter und fairer Artikel! 

Aber dennoch hat man oft den Eindruck, daß der „Focus“ politisch zeitgeistig ist. 

Markwort: Nun ja, durch den Wechsel des Erscheinungstages von Arbeits-Montag zum Wochenend-Samstag hat es auf jeden Fall eine Akzentverschiebung hin zu mehr Lifestyle gegeben. Politische Themen behandeln wir nicht als Chronik der laufenden Ereignisse, sondern mit Akzentuierung in die Zukunft.

Das Blatt war auch vor dem Wechsel des Erscheinungstages auf Verbraucherthemen in gehobener Form fokussiert. Warum haben Sie so wenig Mut zu politischen Titeln? 

Markwort: Weil die Leute sich zwar für Politik interessieren, politische Titel aber meist nicht funktionieren. Sie spalten. Ich erinnere mich an eine ganz tolle Gysi-Geschichte auf dem Titel – am Kiosk aber war sie ein Absturz! Mich ärgert das ehrlich gesagt seit langem. Und verstanden habe ich es bis heute noch nicht: Der Focus-Leser weiß, daß jedes Heft politische und Verbraucherthemen mischt – egal, was vorne drauf ist. Also müßte er das Heft unabhängig vom Titel kaufen, weil die Mischung immer stimmt. Aber nein, der Titel entscheidet. Das müssen wir leider hinnehmen. 

Die „Welt“ etwa sammelt nonkonforme Autoren wie Henryk M. Broder oder Mat-thias Matussek ein. Der „Focus“ dagegen läßt einen konservativen Autor wie Michael Klonovsky gehen.

Markwort: Die Welt sammelt auch Deniz Yücel oder Mely Kiyak ein. Der eine wünschte Thilo Sarrazin einen weiteren Schlaganfall, die andere titulierte ihn als „Menschenkarikatur“. Primitiv und hetzerisch. Und was Broder angeht, dem habe ich bereits 2007 im Alleingang in der Frankfurter Paulskirche den Börne-Preis verliehen. Zum von mir seit mehr als zwanzig Jahren geschätzten Michael Klonovsky: Ein so gebildeter und geistreicher Journalist wird der AfD viel Farbe bringen. Übrigens, vom Focus gehen Kollegen zur SPD – ich erinnere an Doris Köpf –, zur CSU, zur FDP oder jetzt eben zur AfD. Ich finde es toll, daß wir überall „unsere“ Leute haben!

Früher gab es eine dezidiert bürgerlich-konservative Presse, „FAZ“, „Welt“, „Rheinischer Merkur“. Diese ist verschwunden oder politisch gewendet. Fehlt da etwas in der deutschen Presselandschaft?

Markwort: Habe ich nicht bei Ihnen gelesen, daß Karlheinz Weißmann eine neue konservative Zeitschrift gründen will?

Das dürfte allerdings eher ein Eliten- als ein Massentitel werden.

Markwort: Und dann gibt es doch Ihre JUNGE FREIHEIT.

Die diese Lücke allerdings quantitativ ebenfalls keineswegs ausfüllt.

Markwort: Immerhin wächst Ihre Auflage kontinuierlich, sogar gegen den Trend in der Branche. Ich habe, wie Sie wissen, immer öffentlich gesagt, daß ich die Vorbehalte gegen die JUNGE FREIHEIT für unsinnig halte. Ich meine, wir brauchen in Deutschland auch ein konservativ-intellektuelles Blatt. Immerhin hat doch neulich erst eine Kollegin vom Spiegel im Fernsehen – es war im ARD-Presseclub – vorgeschlagen, doch auch einmal jemanden von der JUNGEN FREIHEIT dort einzuladen. Das habe ich übrigens auch schon öffentlich vorgeschlagen, zuletzt vor einem halben Jahr bei einer Preisverleihung an Birgit Kelle in Köln. Immerhin waren da dreihundert Leute anwesend, nur gab es kein Medienecho. Apropos: Ist denn auf den Vorschlag der Kollegin hin mal was von den Öffentlich-Rechtlichen gekommen?

Nein. 

Markwort: Was für eine Schieflage! Die taz ist fast ständig im Presseclub, und sogar der Jakob Augstein vom Freitag, der eine kleinere Auflage hat als die JUNGE FREIHEIT, wird immer wieder ins Fernsehen eingeladen – das ist einseitig.

Tja, eher friert die Hölle zu. 

Markwort: Das denke ich nicht. Ich glaube, da tut sich was, warten Sie es ab.

Die trauen sich nicht. Lieber laden die Roger Köppel ein. 

Markwort: Der muß dann die Lücke füllen, absurd. Es stimmt schon, die Linksspießer sind sehr ängstlich. Nehmen Sie die AfD: Auch die würden viele am liebsten totschweigen, in der Hoffnung, daß sie so verschwindet. Aber die Medien kommen wegen der vielen Wähler einfach nicht drum herum, sich mit ihr auseinanderzusetzen. 

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung über die AfD?

Markwort: Beklagenswert. Ich fühle mich von den meisten Medien miserabel über die Partei informiert. 

Warum?

Markwort: Anstatt um die Inhalte ging es zum Beispiel monatelang in den meisten Medien fast ausschließlich darum, was etwa der Höcke schon wieder gesagt hat. Nun war Programmparteitag – und die Berichterstattung der meisten drehte sich vor allem um die Gegendemonstrationen, darum, was für angeblich skandalöse Sätze einzelne Mitglieder gesagt hätten und um die Islam-Debatte. Der Sender Phoenix war allerdings eine erfreuliche Ausnahme. Ich habe mir daraufhin das Programm beschafft: 74 Seiten – davon gerade mal dreieinhalb zum Thema Islam! Einiges im Programm fand ich übrigens ganz interessant. Und das sage ich als FDP-Mitglied!

Zum Beispiel.

Markwort: Die Vorschläge zum Wahlrecht und die Anregungen zur Steuer: Vermögenssteuer abschaffen, Grundfreibetrag erhöhen – das gefällt mir. Das mag Sie nicht wundern, weil die AfD da sehr nah an FDP und CDU ist – auch wenn die das nicht hören wollen. Aber das Thema ist wichtig, denn ich glaube, wir bekommen 2017 vor allem auch einen Steuerwahlkampf. 

Ist allerdings nicht auch die Berichterstattung des „Focus“ kritikwürdig? Es gab da auch schon etliche einschlägige AfD-Beiträge: Unheildräuend und alarmistisch, voller Höcke, Höcke, Höcke! 

Markwort: Ja, das sehe ich durchaus auch – etwa bei Focus Online.

Herr Markwort, Sie sind doch als Herausgeber nicht völlig einflußlos!

Markwort: Ich schreibe zwar jede Woche meine Rubrik „Tagebuch des Herausgebers“, bestimme aber keine redaktionellen Einzelheiten. Zum Thema Online sage ich Ihnen folgendes – und das gilt für alle, egal ob Focus- , Stern- oder Spiegel Online: Die sind allesamt klicksüchtig! Wir Print-Leute warten eine Woche, um zu sehen, wieviel wir verkauft haben. Die Onliner sehen schon nach einer halben Stunde, wie ein Beitrag ankommt. Folge ist eine möglichst dramatische Zuspitzung der Berichterstattung, vor allem der Schlagzeilen – inklusive Sprachverhunzung –, nur um noch mehr Klicks zu erzielen. Ich sage den Online-Leuten mitunter: „Der Inhalt der Geschichte deckt nicht die Überschrift! Was soll das?“ Aber das ist denen egal. Antwort: „Tja, aber der Beitrag ist gelaufen wie verrückt!“ Übrigens trifft diese Art Berichterstattung keineswegs nur die AfD, das machen die bei vielen Themen so. Und wenn die AfD da gern dämonisiert wird, dann hat das wenig mit politischer Haltung zu tun – das ist die reine Klicksucht.

Wie würden Sie denn die AfD beschreiben?

Markwort: Ich sehe eine rechte Partei, die nationale Interessen in den Vordergrund stellt, aber keine rassistische Bewegung. Und mit dem Schimpfwort Populismus kann ich sowieso nichts anfangen. 

Welche Chancen hat die AfD?

Markwort: Ich glaube nicht, daß sie so einfach wieder verschwinden wird, wie sich das viele Journalisten und die Altparteien wünschen, die mit wirklich unglaublicher Wut auf sie einhauen. Ich kann Alexander Gauland folgen, der sagt, sie könnten noch nicht regieren. Aber wenn die AfD demokratiefest ist, dann wird das irgendwann sein wie in Hessen mit SPD-Chef Holger Börner und den Grünen. Erst wollte er eine Dachlatte als Schlagwerkzeug einsetzen – dann hat er mit ihnen koaliert.

Das heißt, die Entwicklung in Österreich zeigt uns unsere Zukunft?

Markwort: Ja, vorausgesetzt, die AfD überlebt. Die größte Gefahr geht nämlich nicht von den anderen aus, sondern davon, daß sie an sich selbst scheitert. Gründet man eine Partei, drängen jede Menge Leute hinein, die Konflikte auslösen: Gescheiterte, Glücksritter, Querulanten, Radikale. Die unter Kontrolle zu halten, ist unglaublich schwierig. 

Und die „Altparteien“ – wie Sie sagen?

Markwort: Die träumen davon, es könnte einmal wieder alles sein wie früher. Das wird aber nicht passieren. Frau Merkel steht unbeirrt zu ihrer Position und hat so am rechten Rand eine Riesen-Lücke geschaffen. Eine bundesweite CSU könnte das Problem lösen, wird aber nicht kommen – obwohl viele, die jetzt nur aus Verzweiflung AfD wählen, sich das wünschen. 

Und die gute alte Tante SPD?

Markwort: Auch die wird nicht wieder sein, was sie einmal war. Die einzige Chance für einen „Sozi“, noch einmal Kanzler zu werden, ist Rot-Rot-Grün. Was uns erspart bleiben möge. 

Sie haben unlängst im Fernsehen den Rücktritt von SPD-Chef Sigmar Gabriel vorausgesagt. Nun ist der Hohn über Sie groß.

Markwort: Ich bin selbst enttäuscht, weil ich meiner Quelle vertraue. Ich traue ihr sogar jetzt noch. Für mich, wie für die Quelle, ist die Sache rätselhaft. 

Als Journalist hätten Sie die Information durch eine zweite Quelle prüfen müssen. 

Markwort: Richtig, nur hatte ich nicht die Zeit, da ich fürchten mußte, mir käme jemand zuvor. Außerdem, ich bin jetzt sechzig Jahre Journalist, und manchmal hat man eben nur eine Quelle. Seien Sie sicher, ich hätte das nicht hinausposaunt, wäre ich nicht absolut überzeugt gewesen. 






Helmut Markwort, führte den von ihm 1993 gegründeten Focus als Chefredakteur zum Erfolg. 2010 wurde er Mitherausgeber. Zudem ist er im Radiogeschäft tätig (Radio Gong, Antenne Bayern) und regelmäßig zu Gast im Fernsehen. Derzeit moderiert Markwort den „Sonntags-Stammtisch“ im Bayerischen Fernsehen. Seit 48 Jahren ist er FDP-Mitglied, er sitzt im Aufsichtsrat des FC Bayern München und tritt gelegentlich in Theaterstücken auf. Geboren wurde Helmut Markwort 1936 in Darmstadt.

Foto: Vollblutjournalist und Medienmanager Markwort: „Mit der Gründung des Focus wollten wir vor allem eines nicht: die Zahl linker Publikationen in Deutschland weiter vermehren“