© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Unerfüllte Zusagen
Eurokrise: Neue Griechenland-Milliarden freigegeben / Wann kommt der vom IWF verlangte Schuldenschnitt?
Dirk Meyer

Zweifel hatte wohl niemand, daß die x-te Rettung Griechenlands gelingen würde. Deshalb sind die Rahmenbedingungen und Konsequenzen wesentlich interessanter, unter denen die Finanzminister der Eurozone die Rettungshilfen auf ihrer Sitzung in der vorigen Woche freigaben. Kurz zu den Fakten: Die Griechen haben „geliefert“ – will heißen, es wurden die gesetzlichen Voraussetzungen dafür getroffen, daß über eine Rentenreform, weitere Etatkürzungen und Steuermehreinnahmen der Haushaltssaldo um drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes inklusive eines Sicherheitspuffers gesteigert wird.

Übertragen auf Deutschland, würde dies die überaus ambitionierten Anstrengungen im Umfang von 90 Milliarden Euro verdeutlichen. 10,3 Milliarden Euro fließen aus dem im August 2015 beschlossenen dritten Hilfsprogramm: 7,5 Milliarden Euro im Juni/Juli zur Abwendung einer abermaligen Zahlungsunfähigkeit, der Rest später. Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) konnte auf Drängen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Zusage einer finanziellen Beteiligung abgerungen werden, die Ende des Jahres vom IWF umzusetzen ist. Im Gegenzug mußten die EU-Geldgeber zusichern, bei einer mit Ablauf des Programms 2018 fortbestehenden unzureichenden Schuldentragfähigkeit des Landes weitreichende Schuldenerleichterungen zu beschließen – also ein viertes Hilfsprogramm einzuleiten.

Zur Ausgangslage: Die Eurogruppe hatte Griechenland bei Abschluß des dritten Hilfspaketes Schuldenerleichterungen entgegen der ausdrücklichen Ablehnung Schäubles in Aussicht gestellt. Zugleich stellte der IWF einen Schuldenschnitt als Bedingung für seine Beteiligung an dem Programm. Zum einen sieht der IWF die Lage Griechenlands als desaströs, zum anderen traut der IWF der griechischen Führung – in abgehörten Telefonaten ganz offen ausgesprochen – nicht mehr über den Weg.

In seiner aktuellen Analyse zur Schuldentragfähigkeit (IMF Country Report No. 16/130) nimmt er eine Generalabrechnung der sechs Jahre Griechenlandhilfe vor. Der IWF stellt ein zu geringes Reformtempo (Arbeitsmarkt, Bankensektor, Liberalisierung der Märkte, Rechtssystem und Verwaltung), überaus schleppende Privatisierungen, keine Lösung der instabilen, teils überschuldeten Großbanken und ein völlig unrealistisches Auflagenprogramm zur Absicherung der Hilfsgelder fest. Die Folge: Die Schuldenlast werde von derzeit 179 Prozent bis 2030 auf 160 Prozent sinken, um dann auf 250 Prozent im Jahr 2060 rapide anzusteigen. Als Grund wird die Ersetzung von fast zinslosen Darlehen gegen risikoadäquat verzinste Marktkredite angeführt.

Realitätsferne Forderungen?

Die Empfehlungen des IWF lauten: Auflagenlockerung zwecks realistischerer Restrukturierung und jeglichem Zweifel an dem Bestand der Euro-Mitgliedschaft ist entschieden entgegenzutreten. Schäuble sieht den IWF hingegen als Garanten für einen konsequenten, harten Partner im dauernden Kampf um die Einhaltung von gegebenen Zusagen der griechischen Regierung und als unverzichtbar wegen seiner ökonomischen Expertise. Sein Zugeständnis an den IWF für Schuldenerleichterungen ist der Preis.

Zum weiteren Umfeld: Die Eurogruppe – voran die Mittelmeerländer und Frankreich – sowie die EU-Kommission spielen offensichtlich auf Zeit und wollen den Druck angesichts der Baustellen Flüchtlingskrise und Brexit aus dem Kessel nehmen. Speziell Portugal, Spanien, Italien und Frankreich haben angesichts ihrer hohen Staatsschulden, der ungelösten Probleme im Bankensektor sowie des Drucks aus der Bevölkerung nichts gegen eine generell weichere Haltung. Alle vier Euroländer verfehlen die Vorgaben des Fiskalpaktes.

Frankreich reißt bereits seit 2008 die Drei-Prozent-Defizitgrenze. Selbst der französische Rechnungshof (Cour des comptes) moniert, daß das diesjährige Ziel seiner Regierung, die Neuverschuldung von 3,8 Prozent auf 3,3 Prozent zu senken, unsicher sei, und fordert weitere Anstrengungen ein. Dagegen äußert der französische Sozialist und EU-Währungskommissar Pierre Moscovici, für die EU-Kommission seien die Regeln des Stabilitätspaktes „ein Mantra“. Zudem sei es derzeit „wirtschaftlich und politisch nicht der geeignete Augenblick“, um eine Verschärfung der laufenden Defizitverfahren zu beschließen. Mögliche und vorgesehene Sanktionen bleiben als Papiertiger für diejenigen, die noch an die Anwendung des EU-Rechtes in diesem Zusammenhang glauben.

In die gleiche Kerbe schlägt der griechische Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis. Der Politiker von der linken Syriza äußert entschuldigend zum dritten Hilfsprogramm: „Wir sind uns alle einig, daß diese Idee der 50 Milliarden Euro Privatisierungssumme einfach realitätsfern war.“ Nachdem bislang nur 2,5 Milliarden Euro eingenommen wurden, gelten als neuer Zielwert 15 Milliarden Euro, die der IWF sogleich auf fünf Milliarden Euro bis 2030 reduziert hat.

Eine Erkenntnis der Spieltheorie besagt, daß es immer darauf ankommt, was passieren würde, wenn man sich nicht einigt. Falls die Kosten in diesem Fall für die Eurozone höher sind als für die Griechen selbst, sind deren Anreize geringer, kooperativ zu sein. Uneinheitliche Verhandlungspositionen der Troika, Brexit-Abstimmung, Flüchtlingskrise und das Erstarken sogenannter rechtspopulistischer Parteien machen es der griechischen Querfront-Regierungskoalition leichter, auf Zeit und Nichterfüllung zu spielen: unerfüllte Zusagen, keine Schuldentragfähigkeit, Schuldenerleichterungen 2018 auf Kosten der europäischen Steuerzahler. Was der IWF in seiner Prognose 2060 nicht offenlegt: Wird es bei dieser Politik noch den Euro, gar die EU in jetziger Form geben?






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.



Griechische Schuldenschnitte

Seit 1832, der Anerkennung der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich, war Griechenland permanent in Zahlungsschwierigkeiten. 1843, 1860, 1893 und 1932 gab es Staatsbankrotte. Wegen der geopolitischen Lage fanden sich aber immer neue Geldgeber. Auch der Beitritt zur EWG 1981 und zum Euro 2001 war nur politisch begründbar. Bereits 2004 wurde bekannt, daß Athen jahrelang falsche Defizitzahlen meldete – die EU-Kommission verzichtete dennoch auf Konsequenzen. Anfang 2010 half dann keine Verschleierungstaktik mehr – die Zinsen für Staatsanleihen schossen nach oben, am 23. April beantragte die Athener Regierung Finanzhilfe. Im Mai beschlossen EU, EZB und IWF das erste, am 21. Juli 2011 folgte das zweite Rettungspaket. Im März 2012 erfolgte der erste Schuldenschnitt: die privaten und staatlichen Gläubiger verzichteten auf 105 Milliarden Euro – 53,5 Prozent des Nennwerts der Forderungen. Der zweite Schuldenerlaß folgte im November 2012: der kreditfinanzierte Schuldenrückkauf, die Zinssenkung und die Laufzeitverlängerung summierten sich laut Ifo-Institut auf real 47 Milliarden Euro.

IMF Country Report No. 16/130:  imf.org