© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Pankraz,
Gawker und der elende Porno-Klatsch

Der Pornograph als Freiheitsheld, so hat man’s schon früher oft gewünscht. Jetzt läuft unter dieser Flagge in den USA eine riesige Vorstellung, bei der es zusätzlich um Millionen Dollar geht. Peter Thiel, der superreiche Großmanager von Silicon Valley und Facebook-Teilhaber, will offenbar das New Yorker Klatsch- und Porno-Portal Gawker kaputtmachen, indem er es mit Prozessen überzieht, die so teuer sind, daß Gawker darunter zusammenbrechen muß. „Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr!“ Die Aufregung darüber reicht schon bis ins deutsche Feuilleton, von Cicero bis FAZ. 

Zugegeben: Die Umstände der Affäre sind spannungsreich und höchst klatschhaltig. Gawker hat vor einiger Zeit mit großem Aufwand enthüllt, daß Peter Thiel „von oben bis unten schwul“ sei, sich aber nicht „outen“ wolle; er ist schließlich Großsponsor der Republikaner und neuerdings sogar Trump-Anhänger. Thiel hielt damals still. Kürzlich nun enthüllte Gawker, daß Hulk Hogan, der berühmte Wrestler, heimlich mit der Frau seines besten Freundes Geschlechtsverkehr betrieben habe. Hogan fühlte seine Privatsphäre verletzt und zog vor Gericht.

Eine Jury in Florida gab dem weltbekannten Wrestler recht und verurteilte Gawker zur Zahlung einer Schadensersatzsumme von sage und schreibe 140 Millionen Dollar. Das war zuviel für das Portal, es konnte das Geld bis heute nicht aufbringen und sucht seitdem verzweifelt nach Kreditgebern, die ihm aus der Patsche helfen. Doch es hatte auch noch einen weiteren, wie sich inzwischen herausgestellt hat, sehr wirksamen und artgemäßen Pfeil im Köcher: Es enthüllte, daß hinter dem ganzen Hogan-Prozeß kein anderer stand als Peter Thiel aus dem Silicon Valley.


Peter Thiel, so erfahren wir nun, habe sich für die Enthüllung seiner Homosexualität „rächen“ wollen, und so habe er denn Hogan erst richtig aufgehetzt, den Prozeß zu führen, habe dafür sämtliche Kosten ohne jede Rückgabeforderung übernommen und werde das auch in Zukunft durch alle Instanzen hindurch weiter tun. Er gefährde damit nicht nur die Existenz von Gawker, sondern auch die Meinungs- und Pressefreiheit insgesamt, und alle guten Demokraten im Lande sollten das einsehen.

Die Aufforderung fällt auf fruchtbaren Boden. Zahlreiche Medienforscher mit Lehrbefugnis haben sich inzwischen gemeldet und verweisen auf die ohnehin immer schwierigere Lage, in der sich Medien in Sachen Meinungsfreiheit angeblich befinden. Immer mehr Rechercheergebnisse und Kommentare würden mit rechtlichen Einsprüchen und Forderungen nach Rücknahme überzogen, und das alles sei sehr teuer und bringe das mediale Geschäft in größte Schwierigkeiten. Bei den Medien sei das Geld knapp, während immer mehr private Kläger über schier unbegrenzte Mittel verfügten.

Auch Peter Thiel hat inzwischen sein Schweigen gebrochen. In einem Interview mit der New York Times sagte er, er habe, indem er den Prozeß von Hogan gegen Gawker unterstütze, keineswegs gegen die Meinungsfreiheit gehandelt, ganz im Gegenteil. Gerade weil er, wie bekannt, „echte“ Journalisten auf vielfältige Weise fördere, sei es wichtig, sie gegen einfältige, dezidiert pornohaltige Klatschmagazine abzugrenzen. Pankraz kennt Herrn Thiel nicht persönlich, und er hegt ein spontanes Mißtrauen gegen Silicon-Valley-Größen und Facebook-Shareholder. Aber speziell hier steht er voll auf der Seite Thiels.

Nichts gegen eine gutgelaunte und einfallsreiche Klatschpresse, sofern sie die Grenzen des Anstands und des guten Geschmacks respektiert; es gibt ja noch die sogenannte „Qualitätspresse“, bei deren Lektüre man sich vom „Boulevard“ erholen und nach wirklich wichtigen Informationen Ausschau halten kann – sollte man wenigstens meinen. Doch was sich seit einiger Zeit pressemäßig im Abendland abspielt, ist tatsächlich, grob und genau gesprochen, „unter aller Sau“, spricht jedem Begriff von freier Meinungsäußerung hohn. Und es wird immer schlimmer.


Nicht die Klatschpresse paßt sich zunehmend der Qualitätspresse an, sondern diese der Klatschpresse. Und als gemeinsamer Orientierungspunkt erscheint nicht mehr leichte, elegante Unterhaltung, also „Boulevard“ im klassischen Sinne, sondern eine üble, absolut unappetitliche Mischung aus Hardcore-Porno und Häme, Schamlosigkeit und Scheinheiligkeit. Das Portal Gawker liefert dafür die typische Vorlage. Man spricht dort nicht einfach über etwas, erzählt nicht irgend etwas, sondern man „entlarvt“

Jeder Text ist – wiederum im groben Jargon gesprochen – eine „Wichsvorlage“. Man geilt sich auf, indem man grelles Licht auf die im Dunkel gehaltenen Sex-Abenteuer der anderen wirft, und natürlich müssen diese anderen „Promis“ sein, wichtige, mächtige „Figuren der Zeitgeschichte“, welche  man dadurch von ihrem „hohen Roß“ herunterholen, mit sich selber vergleichbar machen kann. Die ganze Prozedur jedoch wird zusätzlich (darauf legt ja nicht nur Gawker größten Wert) als höchste demokratische Tugendhandlung verkauft, als Vollzug der Meinungsfreiheit, wie sie in der Verfassung steht.

Die meisten der von dieser Art „Meinungsfreiheit“ betroffenen Figuren nehmen es schweigend hin, verkriechen sich so gut wie möglich aus der Öffentlichkeit, bis das Häme-Gewitter vorbei ist. Einige, und wahrhaftig nicht die Schlechtesten – Pankraz denkt etwa an den Schriftsteller Uwe Johnson –, gehen darüber zugrunde. Allmählich freilich scheint sich auch hier das Klima in der Gesellschaft zu ändern. Die Tatsache, daß sich Hulk Hogan seine Bloßstellung durch Gawker nicht gefallen läßt und daß ihm dabei Peter Thiel zur Seite getreten ist, deutet auf Wandel.

Es wurde auch höchste Zeit. Schließlich geht es in erster Linie nicht um Hogan und verwandte Falle, es geht um die Rettung eines ebenso mutigen wie sauberen Journalismus in Zeiten des Internets. „Journalisten“, schrieb einst Dostojewski, „sind entweder Geburtshelfer oder Totengräber.“ Pankraz ist gegen die Totengräber.