© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Aus der passiven Rolle heraustreten
Vom Leben in der DDR: Die Berliner Schriftstellerin Monika Maron begeht heute ihren 75. Geburtstag
Thorsten Hinz

Nur wenige Schriftsteller haben so präzise und kompromißlos das Ende der sozialistischen Utopie auf deutschem Boden dokumentiert wie Monika Maron. In ihrem Romanerstling, „Flugasche“ recherchiert die Journalistin Josefa Nadler für eine Ost-Berliner Wochenzeitung die Auswirkungen eines Kohlekraftwerks auf die Stadt „B.“ Das Vorbild gab, leicht erkennbar, die mitteldeutsche Industriestadt Bitterfeld ab, die zu DDR-Zeiten wohl schmutzigste Stadt Europas. Nadler muß feststellen, daß ihre Recherchen nicht öffentlich werden dürfen. Auch Marons Roman konnte 1981 nur im Westen erscheinen.

Bitterfeld war in der DDR ein Mythos. Hier wurde 1959 auf einer Konferenz der „Bitterfelder Weg“ gewiesen, auf dem Arbeiter und Schriftsteller sich begegnen sollten. Die Autoren sollten in ihren Büchern die Lebenswirklichkeit der Arbeiterklasse thematisieren und im Gegenzug das Proletariat die geistigen und kulturellen Höhen erklimmen.

Die literarischen Ergebnisse irritierten die SED-Führung: Das Leben der einfachen Leute verlief offenbar ganz anders als in den Lehrbüchern des Marxismus-Leninismus, weshalb das Projekt wieder fallengelassen wurde. Monika Maron aber schritt den Bitterfelder Weg bis ans Ende aus und widerlegte die Partei, indem sie ihre Verheißungen und Losungen beim Wort nahm. So wurde sie zur Chronistin der Agonie-Phase, in der der Glaube an die Heilsbotschaften längst erloschen war und die reduzierten Hoffnungen auf die Entwicklungs- und Reformfähigkeit des Systems von der altersstarren Führung täglich dementiert wurden. Josefa Nadler sinniert: „Alles was ich bin, darf ich nicht sein. Vor jedes meiner Attribute setzen sie ein ‘zu’: du bist zu spontan, zu naiv, zu ehrlich, zu schnell im Urteil ...“ 

In dem 1992 erschienenen Roman „Stille Zeile Sechs“ hat Maron das Thema aus einer höheren Ebene variiert. Die „Stille Zeile“ ist dem Majakowski-Ring nachempfunden, einer exklusiven Siedlung in Berlin-Pankow, wo sich die Partei- und Staatsspitze niedergelassen hatte, ehe sie 1960 nach Wandlitz umzog. Eine Historikerin, die ihren Brotberuf aufgegeben hat, wird von einem ehemaligen Funktionär engagiert, das Diktat seiner Lebenserinnerungen aufzunehmen. Das führt zu schweren Konflikten und zu Gedanken von erstaunlicher Gegenwärtigkeit. Die Ich-Erzählerin begreift, daß alles vom Tod des Alten „und dem seiner Generation abhing. Erst wenn ihr Werk niemandem mehr heilig war, wenn nur noch seine Brauchbarkeit entscheiden würde, über seinen Bestand oder Untergang, würde ich herausfinden, was ich im Leben gern getan hätte. Und dann würde es zu spät sein.“

Die Figurenkonstellation des Romans gibt in verschränkter Weise die persönliche Konstellation der Autorin wieder. Ihr Stiefvater war Karl Maron, der als der Innenminister der DDR und Chef der Deutschen Volkspolizei zu den Organisatoren des Mauerbaus gehörte. Die Stieftochter genoß Privilegien und war zunächst vom Kommunismus überzeugt. Aus anfänglichen Zweifeln wurde ein Bruch. 1988 reiste sie in den Westen aus, seit 1992 lebt sie wieder in Berlin. 

Auch publizistisch meldet sie sich vernehmbar zu Wort. Für Aufsehen sorgte 1992 ihr Spiegel-Artikel „Peinlich, blamabel, lächerlich“, in dem sie ihre Krankheit namens „Zonophobie“ bekannte. Das zielte auf die Larmoyanz, in der sich viele Menschen in der Ex-DDR nach der Wiedervereinigung eingerichtet hatten: „(...) endlich dürfen alle Opfer sein, Opfer des Westens. Niemand ist mehr verantwortlich für den wirtschaftlichen und politischen Ruin des Landes außer der Treuhand. Unter der SED waren wenigstens die Mieten billig, und alle hatten Arbeit.“ Indem sie ihrem „ungerechten Zorn einige Seiten“ gönnte, wollte sie die Leute aufrütteln, die Möglichkeit zu nutzen, die sie sich 1989 schließlich erkämpft hatten: aus der passiven Rolle herauszutreten!

Mit gleicher Verve fordert sie heute in Artikeln, den „Muslimen die Grenzen aufzuzeigen“, denn die „Islamisierung beginnt nicht erst, wenn der Islam in Deutschland Staatsreligion geworden ist, sondern wenn er unsere rechtsstaatlichen und zivilisatorischen Grundsätze mit seinen religiösen Ansprüchen unterläuft“. Hart kritisierte sie Angela Merkel, deren Flüchtlingspolitik „zum kollektiven Selbstmord“ führe.

Vor mehr als fünfzehn Jahren, da war sie noch keine Sechzig, schrieb Monika Maron einen melancholischen Text über das Altern, auf das sie gern verzichten würde, wäre die Alternative nicht der frühe Tod. Sie erfindet eine bessere Alternative: „Einmal bis fünfundvierzig und ab dann pendeln zwischen Mitte Dreißig, früher ist nicht nötig, und Mitte Vierzig, bis die Jahre abgelaufen sind; so hätte ich die mir zustehende Zeit gern in Anspruch genommen.“ Doch niemand entgeht dem ewigen Gesetz, und die einzig wirkliche Alternative dazu ist zu ihrem und zum Glück für ihre Leser nicht eingetreten. Am 3. Juni begeht Monika Maron ihren 75. Geburtstag.