© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Auf der Flucht zu sich selbst
Dokumentarfilm: „Zen for Nothing“ zeigt Pilger in einem japanischen Kloster
Sebastian Hennig

Die Schweizerin Sabine Timoteo ist Tänzerin und Schauspielerin. Entsprechend agiert sie in Werner Penzels Dokumentarfilm „Zen for nothing“. Der seit 2009 auf einer japanischen Insel lebende Regisseur begleitet ihren Aufenthalt im Zenkloster Antaiji in den Bergen an der Westküste Japans. Sie spielt und tanzt ihre Rolle mit der Gewissenhaftigkeit einer Musterschülerin. Im Herbst kommt sie dort an und verweilt bis zum Frühjahr. Die Bahnfahrt führt entlang der Küste an Industrieanlagen vorbei. In Wanderschuhen und mit Rucksack erklimmt sie die lange Treppe aus großen runden Kieseln. Die Ankunft in der Sangha-Gemeinschaft ist wie in einem Landheim. Sie bekommt gezeigt, wo sie sich zu verneigen hat und wo der Abort zu finden ist.

Den Film durchziehen Zitate von Zenmeister Kodo Sawaki (1880–1965): „Es gibt Leute, die betreiben Zen als Fortbildung. Das ist bloß Schminke. Zen ist keine Fortbildungsanstalt. Zen schmeichelt dir nicht, es putzt dich aber auch nicht runter. Zen bedeutet Geradeaus-Weitergehen. Was immer du auch gerade denkst, schon ist es wieder vorbei.“

Solcher Weisheiten wegen unternehmen Pilger weite Reisen, denn aus dem Munde Nahestehender klingt dergleichen zu unbedeutend. Besonderes Gewicht erhält das Selbstverständliche in außergewöhnlicher Umgebung und zwischen fremden Menschen. Doch so fremd sind die auch wieder nicht. Auf der Flucht vor sich selbst nimmt der Europäer weite Wege auf sich und kommt im Wortsinne wieder zu sich selbst.

Erst in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Kloster gegründet. Im Krieg kam es zum Erliegen, 1949 wurde es wiedereröffnet und entwickelte sich rasch zum Anziehungspunkt vieler Suchender aus dem Westen. Der durch den anschwellenden Strom entstandenen Unruhe wollte sich der Neubau in der Stille der Berge entziehen. Zugleich herrscht wieder das alte Selbstversorgungsprinzip.

In dem Kloster sind auch Frauen zugelassen, es gibt Internet, und der Abt stammt aus Berlin. Seit sein Meister und Vorgänger 2002 bei einem Unfall tödlich verunglückte, steht Muho Nölke dem Kloster vor. Er stellt in Abrede, daß der Zen-Meister etwas Besonderes sei. Er sei nur ein Hängengebliebener, während die Mönche weiterziehen, wie an den Hochschulen, von wo die Tüchtigen in das Leben gingen und die Zurückbleibenden Professoren werden. Er hat ein Buch des Meisters Kodo Sawaki übersetzt mit dem Titel „Zen ist die größte Lüge aller Zeiten“. Der Film zeigt leidenschaftslose Ruhe, unterbrochen von den Signalen der Glocken, Klangschalen, Trommeln und Klopfhölzer und den Geräuschen der Arbeitstätigkeit.

Die knabenhaft wirkende Timoteo schaut während der Übungen ehrgeizig und angespannt aus. Eine langhaarige Blonde trägt bei der Sitzmeditation eine Leidensmiene zur Schau. Ein westlicher Mann mit einem beschrifteten T-Shirt blickt gleichgültig. Einige Bewohner legen eine Art Beichte über ihre innere Verfassung ab. Eine Japanerin bekennt sich in Selbstzerknirschung zu einem schlechten Charakter, mit dem sie sich abfinden müsse.

Aufnahmen der japanischen Vegetation, des Nebels über der Wiese und des Vollmonds am Himmel sorgen für atmosphärische Stimmung. „Es gibt nur eine Wirklichkeit, und selbst die ist leer“, sagte der Meister.

Die Menschen wechseln von schweigendem Sitzen zu notwendigen Verrichtungen. Mit Reisigbesen reinigen vier Männer den Gang. Dann werden die Dielen gewienert, bis sie spiegelglatt sind. Timoteo hackt Holz und hilft bei der Käsezubereitung. Reispflanzen werden auf dem schlammigen Grund des Feldes ausgebracht, Bäume gefällt und das Gebäude ausgebessert.

In der Freizeit wird elektrisch die Gitarre gespielt oder der Baß gezupft. Timoteo fertigt filigrane Scherenschnitte. Die haben mit der europäischen Kunst soviel oder so wenig zu tun wie das Klosterleben von Antaiji mit seinen japanischen Urbildern. Unweigerlich entsteht die Frage, was die Übenden tun, nachdem sie wieder in das gewöhnliche Leben zurückgekehrt sind. Vielleicht gibt ihnen die Sammlung im Kloster Kraft, die allgemeine Zerstreuung mit noch mehr Energie zu unterstützen.

Die ganze gesteigerte Achtsamkeit zielt zuletzt auf verbissenes Fernhalten vom Wesentlichen. So sympathisch alle Verrichtungen wirken, es bleibt das Gefühl einer einvernehmlichen Maskerade. Über die Filmbilder legen sich immer wieder Aussprüche des Meisters der Gemeinschaft. Einmal vergleicht er das Streben, Buddha zu werden, mit der Bemühung, in einem fahrenden Zug loszulaufen, um dadurch eher anzukommen. Werner Penzel hat einen Werbefilm gemacht zum Aussteigen, Einsteigen und Umsteigen. Doch alle Beteiligten bleiben dabei immer im selben Zug.