© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

In seltener Weise alterslose Analysen
Ein kleiner Gesprächsband des Geschichtsdenkers Ernst Nolte widmet sich zukünftigen Heraus- forderungen durch den Islamismus
Thorsten Hinz

Dieser schmale, zweisprachige Band mit einem Gespräch über den Islam und Europa setzt den Schlußpunkt unter die öffentliche Tätigkeit des inzwischen 93jährigen Historikers und Geschichtsdenkers Ernst Nolte. Das Gespräch erscheint auf deutsch und französisch in der Edition Europolis, die der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Markus C. Kerber herausgibt. 

Seit gut zehn Jahren widmet Nolte sich dem Islam in der Überzeugung, daß er für die Zukunft Deutschands und Europas entscheidend sein wird. 2009 erschien das Buch „Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus“, mit dem er sein Lebenswerk, das dem europäischen und dem ideologischen Weltbürgerkrieg im 20. Jahrhundert gewidmet ist, thematisch ergänzt und vervollständigt.

Nolte bestreitet ausdrücklich, über prophetische Gaben zu verfügen. Seine Fähigkeit aber, aktuelle Probleme in ein weitgespanntes geschichtliches Kontinuum zu stellen und innerhalb dieses Kontextes zu analysieren, läßt diese als beinahe abgeschlossene Ereignisse erscheinen, was seinen tagespolitischen Äußerungen wiederum einen prognostischen Wert verleiht und sie in seltener Weise alterslos macht.

Die Aussichten, die er hier eröffnet, sind nicht gerade beruhigend. Es gibt Nolte zu denken, daß der IS trotz oder sogar wegen der verübten Grausamkeiten eine starke Attraktivität auf junge Muslime in Deutschland, aber auch auf Nichtmuslime ausübt. Sein „Kalifat“ könnte sich als eine Art Kirchenstaat herausstellen, der einerseits auf eigenem Territorium eine gewisse Macht ausübt und zugleich im Westen durch die Zuwanderung über Anhänger verfügt.

Solange die Vorteile für die muslimische Bevölkerung nach ihrer Auswanderung in den Westen überwiegen und sie quantitativ eine kleine Minderheit bleibt, meint Nolte, dürften die Radikalen unter ihnen keine Dominanz gewinnen. Es könnte sogar sein, daß einige der Zuwanderer zu den „besseren Deutschen“ würden. Implizit heißt das aber auch: Je mehr von ihnen nach Europa kommen, um so größer wird die Zahl derer, die sich als Verlierer fühlen, weil die Sozialstaaten nicht mehr jeden von ihnen ruhigstellen können, und desto größer werden ihre Möglichkeiten, die Mehrheitsgesellschaft unter Druck zu setzen. Schließlich sei der Islam eine „unaufgeklärte“ Religion mit einem ungebrochenen Eroberungswillen.

„Selbstmordtendenzen“ der westlichen Gesellschaften

Den Radikalen kommen dabei die westlichen „Selbstmordtendenzen“ entgegen. Ob sie umgekehrt oder wenigstens angehalten werden können oder sich noch weiter ausbreiten, hängt laut Nolte davon ab, daß es in Deutschland einer „Rechten“ gelingt, sich zu etablieren. Andernfalls würden die letzten Bestände, die stabilisierend wirken, wegfallen und mit ihr die letzten Selbstgewißheiten. Dann würde „die islamische Kritik immer mehr an Glaubwürdigkeit“ gewinnen – ein Szenario, das Michel Houellebecq im Roman „Unterwerfung“ ausführlich entworfen hat.

Auf die Frage nach einer globalen Sicherheitsarchitektur verweist Nolte auf Großräume, die von regionalen Vormächten geführt würden. Entscheidend sei aber das Prinzip der Freiwilligkeit. Die sieht er bei der Entscheidung Moskaus, die Schenkung der Krim an die Ukraine durch den früheren Parteichef Chruschtschow zu revidieren, als gegeben an. Schließlich hätten die Krim-Bewohner der Rückgliederung an Rußland zugestimmt.

Es war nicht der Sinn und Zweck des Gesprächs, gültige Antworten zu formulieren, sondern, wie der Religionsgeschichtler Dominique Bourel, Forschungsdirektor an der Pariser Sorbonne, in seinem von Respekt getragenen Vorwort schreibt, „exzellente Fragen über die Validität unseres westlichen Zivilisationsmodells, die Universalität des Universellen und die Reformierbarkeit des Islam“ aufzuwerfen. Noch einmal erweist Ernst Nolte sich als ein großer Denker auf der Höhe der Zeit.

Ernst Nolte: Ich bin kein Prophet / Je ne suis pas un prophète. Ein Gespräch mit Ernst Nolte über den Islam und Europa. Edition Europolis, Berlin 2015, broschiert, 32 Seiten, 9 Euro