© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Frisch gepresst

Globalmoral. Mitte Mai 2016 gaben US-Statistiker bekannt, daß sich Amerikas Mittelstand in einem Auflösungsprozeß befinde und die Schere zwischen Reich und Arm sich weiter öffne. Die USA setzen insoweit konsequent das von ihnen etablierte Modell globalisierter Gesellschaften um. Da derzeit solche Zustände vor allem unter Europas Intellektuellen noch als „ungerecht“ empfunden werden, sind sie dankbare Abnehmer der anschwellenden Produktion philosophischer Bücher zum Thema „Gerechtigkeit“. Zu den erfolgreichsten, Konzertsäle füllenden Anbietern auf diesem Markt zählt der Harvard-Professor Michael J. Sandel. Seine neuesten Antworten auf die Frage „Wieviel Moral braucht eine Gesellschaft?“ bewegen sich, da wie gewohnt sozioökonomisch oberflächlich, wiederum weit unterhalb der rationalistischen Populärphilosophie der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Denn Moses Mendelssohn und seine Mitstreiter nahmen, wenn auch vorsichtig formulierend, gegenüber den absolutistischen Regimen immerhin einen politisch konkreten, bürgerlichen „Klassenstandpunkt“ ein. (wm) 

Michael J. Sandel: Moral und Politik. Gedanken zu einer gerechten Gesellschaft. Ullstein Buchverlage, Berlin 2015, 351 Seiten, 22 Euro





Ritterschule. Man muß nur die Namen des jüngst verstorbenen, medial omnipräsenten „Transzendentalbelletristen“ Odo Marquard und den des auch im 90. Lebensjahr im Vortrags- und Tagungsgeschäft noch rührigen Hermann Lübbe nennen, um eine Vorstellung von den geistigen Einflußzonen der kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Seminar des Philosophen Joachim Ritter (1903–1974) entstandenen „Schule von Münster“ zu vermitteln. Tatsächlich bildeten Schüler wie Lübbe und Marquard zusammen mit zahlreichen Trabanten wie Martin Kriele und Günter Rohrmoser in der Bonner Republik das stärkste, jedoch politisch nicht recht „konservativ“ zu fixierende Widerlager zur neomarxistischen „Frankfurter Schule“. Mark Schweda, 2011 an der HU Berlin promoviert über „Joachim Ritters philosophische Theorie der modernen Welt“, hat aus dieser umfangreichen Dissertation nun eine geraffte, gut lesbare, pointierte „Einführung“ in den Ideenkosmos von Gelehrten verfaßt, die nach 1968 lange als Programmatiker der „ethischen Gegenaufklärung“ (Ernst Tugendhat) verschrien waren. (dg)

Mark Schweda: Joachim Ritter und die Ritter-Schule zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2016, broschiert, 221 Seiten, 14,90 Euro