© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Wir räudig Schäfelein
Peter Gauweiler

Wenn ich nicht mitspielen durfte, weil ich einer vom rechten Rand war, tröstete mich der Heilige Veit von Staffelstein. Diese Aufrichtung verdanke ich meinem Freund Wilfried Scharnagl, der mir diesen Nothelfer eines Abends, als ich gerade wieder schlechte Karten hatte, in einer Grußadresse auf den schwarzen Peter unvergeßlich machte. Wilfried zitierte aus dem diesem Heiligen gewidmeten Pilgerlied des Victor von Scheffel, wo der von der community ausgeschlossene eigensinnige Pilgersmann seinen Weg alleine weitergehen muß: 

„Wie gerne wär ich mitgewallt der Pfarr wollt mich nicht haben so muß ich weiter durch den Wald als räudig Schäflein traben.“

Der Held kommt am Ende dann doch ans Ziel und das Epos in seiner Gesamtheit („Wohlauf, die Luft geht frisch und rein“) wurde zum „Lied der Franken“. Zum 30. Geburtstag erklinge also auch für die Junge Freiheit jene Frankenhymne. Der Song eines Volksstamms, der sich bekanntlich als erster anschickte, das Reich der Römer nördlich der Alpen fortzusetzen. Ich weiß, daß Sie sich über solche Vergleiche freuen. 

Ihre Zeitung versteht sich nun seit drei Jahrzehnten als Zentralorgan der Mainstream-Abtrünnigen, und man möchte zu Ihrem aktuellen Jahrestag vor allem hoffen und wünschen, daß es dabei bleibt.

Wir alle wissen, daß es in diesem „Strom“ immer wieder besonders reizbare und auftrumpfende Mitschwimmer gibt, deren Vorgehensweise „gegen Rechts“ einer bösen und heuchlerischen Dialektik folgt. Der brutalste diesbezügliche Versuch, die JF zum Verstummen zu bringen, war der Brandanschlag auf ihre Druckerei in Weimar; am infamsten war die versuchte Anprangerung Ihrer Zeitung durch den „Verfassungsschutzbericht“ des NRW-Innenministeriums. Diese Veröffentlichung wirkte wie eine behördliche Gesinnungsstrafe, zu der das zuständige Ministerium vor allem vorzutragen wußte, daß sie nur auf „Verdacht“ verhängt worden sei („Frühwarnsystem“) und daß sich dieser Verdacht nur auf „Artikel von Dritten beziehen würde, die der Redaktion nicht angehörten“. Dagegen sprangen der JF nun nicht mehr nur die Außenseiter vom Dienst bei, sondern das Bundesverfassungsgericht in seiner Gesamtheit, als es feststellte, daß für eine verfassungsfeindliche Bestrebung „von Verlag und Redaktion der Jungen Freiheit“ nicht einmal Anhaltspunkte vorgelegt worden waren. Förmlich urteilten die obersten Richter, daß die NRW-Maßnahme einem verfassungswidrigen Eingriff in die Pressefreiheit gleichkam. In der in der amtlichen Sammlung des Bundesverfassungsgerichts veröffentlichen Entscheidung (113. Band, S. 63f.) kann man gut nachlesen, was im Hinterkopf der amtlichen Verfolger vorgegangen sein mag, „… daß etwa Inserenten, Journalisten oder Leserbriefschreiber die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht zum Anlasse nehmen, sich von der Zeitung abzuwenden oder sie zu boykottieren.“ An sich ein unerhörter Vorgang, und es spricht ebenfalls wieder für Ihre Zeitung, wie beherrscht und zurückgenommen sie die Sache durchgestanden hat. 

Als zehn Jahre vor dieser Entscheidung Ihre damalige Druckerei in Weimar brannte, befand sich – auch das sollte erwähnt werden – unter den ganz wenigen, die sich mit der gebotenen Drastik sofort gegen die Untat zu Wort meldeten und diese als Attentat auf die Meinungsfreiheit bezeichneten, ein gewisser Daniel Cohn-Bendit. Das war um so bemerkenswerter, als die Abneigung gegen die Außerparlamentarische Opposition und ihre Nachwirkungen eine der inhaltlichen Begründungen für den Start der Jungen Freiheit war. Als einem von sieben Contras des einstigen 68er-Konvents der Münchner Uni war mir diese Gründungsidee nicht unsympathisch. Es wird für Sie wie für mich aber ein Stich gewesen sein, als Benedikt XVI. – unser Papst – den Anhängern der Bewegung im nachhinein bescheinigte, daß „sie dem Guten in der Welt dienen wollten“. Trotzdem hat er damit den für ihre Motive ausschlaggebenden Faktor auf den Punkt gebracht. Wir machen unseren Widerspruch gegen die psychopathischen Züge der 68er nicht kleiner, wenn wir dies zugeben. 

Heute verschafft die Banalisierung des bürgerlichen Lagers, das ja immer auch „rechte“ Artikulationsaufgaben hat, durch die in Berlin praktizierte Politik der „asymmetrischen Demobilisierung“ Ihrer Wochenzeitung eine zusätzliche Notwendigkeit: weil ohne eine auch kontroverse Definition des öffentlichen Interesses und ohne einen argumentativen Schlagabtausch die Demokratie ihre Muskelkraft verliert. 

Deshalb wächst die Junge Freiheit jenseits allen Außenseitertums an der Aufgabe, dem Journalismus in Deutschland einmal in der Woche zu der Einsicht zu verhelfen, daß jede Sache zwei Seiten hat. Sie helfen aktuell also auch ihren Gegnern. Und im Gegensatz zur amtlichen Politik tun Sie das nicht einmal unfreiwillig. 

Vielen Dank auch dafür im Namen eines alten Lesers. 






Peter Gauweiler, Jahrgang 1949, gehörte von 2002 bis zu seinem Mandatsverzicht im März 2015 dem Deutschen Bundestag an. Davor hatte er verschiedene Ämter in der bayerischen Landesregierung inne. Von 2013 bis 2015 war er stellvertretender Vorsitzender der CSU. In der ersten Ausgabe der Jungen Freiheit als Wochenzeitung im Januar 1994 war Peter Gauweiler Interviewpartner der Zeitung.