© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Wir bleiben unabhangig
Ein Gespräch mit dem Verlagsgründer und Chefredakteur Dieter Stein
(JF)

Herr Stein, wenn Sie morgens in den Verlag kommen, fällt Ihr Blick im Flur auf ein Schaubild, das die Auflagenentwicklung der Jungen Freiheit zeigt. Vermutlich stimmen Sie dann immer ein fröhliches Liedchen an, oder?

Stein: Wenn es mir gutgeht, pfeife ich vor mich hin ... Wir sind stolz darauf, daß die Auflage über eine lange Distanz und gegen den Trend der Zeitungskrise steigt. Als wir 1994 den ersten Wochenzeitungsjahrgang abschlossen, lagen wir bei 5.000 Abonnenten. Bis zum Jahr 2000 stieg die Zahl zögerlich auf 7.000. Als wir 2008 erstmals an der offiziellen IVW-Prüfung teilnahmen, lagen wir bei 11.000 – aktuell haben wir 24.770.

Wie erklären Sie sich diese Steigerung?

Stein: Die politische Lage in Deutschland hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft, gerade in den vergangenen zwölf Monaten noch einmal durch die eskalierende Asylkrise. Die innenpolitische Debatte hat sich polarisiert. Mehr Menschen als vorher suchen nach politischer Orientierung und publizistischen Alternativen. Wir wurden überwältigt vom Zuspruch, den wir in dieser Form noch nicht erlebt haben.

Wenn Sie von Polarisierung sprechen, kommt einem das Schlagwort „Lügenpresse“ in den Sinn. Sie sind kein Freund dieses Begriffs. Warum?

Stein: Weil auch wir Fehler machen. Es gibt nicht „die Lügenpresse“ und „die Wahrheitspresse“, wir finden überall Licht und Schatten, und manches, was „alternative Medien“ und Internet-Blogs verbreiten, ist ebenso Propaganda und Unsinn.

Wer ist schuld an dieser Vertrauenskrise?

Stein: Eindeutig die etablierten Pressehäuser und insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender. Sie haben sich über die Bürger erhoben, von ihren Lesern entfernt und berichten bei entscheidenden Themen nicht ausgewogen. Audiatur et altera pars – man höre immer auch die andere Seite, das ist unter die Räder gekommen. Aus politisch-ideologischer Motivation. Es ist ein extremes Übergewicht an linken und linksliberalen Journalisten entstanden, bis weit hinein auch in „bürgerliche“ Verlage. Dies hat zu „Nanny-Journalismus“, betreutem Journalismus geführt, wie es Jan Fleischhauer einmal treffend formuliert hat.

Mit der Folge?

Stein: Die Leute fühlen sich für doof verkauft, ihnen wird in einigen politisch entscheidenden Fragen etwas vorgemacht oder es wird nicht ergebnisoffen debattiert – ob in der Euro-Krise, der Frage des gesellschaftlichen Umerziehungsprogramms „Gender Mainstreaming“ oder beim Thema massenhafter illegaler Einwanderung. Gerade die kritiklose „Refugees welcome“-Propaganda, der sich Sender und viele Printmedien bis hin zur Bild-Zeitung verschrieben haben, brachte das Faß zum Überlaufen. Ich glaube, die Deutschen haben eine Engelsgeduld. Doch jetzt wurde es auch den gemütlichsten Bürgern zuviel.

Sie machen die Junge Freiheit seit dreißig Jahren. Haben Sie schon einmal kurz davorgestanden, alles hinzuwerfen?

Stein: Nach dem Brandanschlag auf unsere Druckerei in Weimar, im Dezember 1994, hatte ich einen Moment darüber nachgedacht. Das war der Höhepunkt einer Kette von linksextremen Attacken auf unsere Zeitung. Ich fragte mich, wo das noch enden sollte und ob es noch einen Sinn hat, dagegen anzurennen. 

Was hielt Sie davon ab?

Stein: Es gab auch bei den größten Widrigkeiten immer Menschen, die mir den Rücken stärkten.  Ohne Freunde, ohne Solidarität machen Sie nicht weiter. Und es gab viel Aufmunterung durch unsere Leser. Außerdem bin ich ein Dickkopf. Ich bin irgendwann losgelaufen und habe mir gesagt: Es muß möglich sein, es muß gemacht werden. Ich wollte, daß den Konservativen Gehör verschafft wird. Der in diesem Milieu manchmal verbreitete Defätismus hat mich abgestoßen – und herausgefordert.

Sehen Sie heute die AfD als Verwirklichung dessen, wofür Sie mit der JF seit Jahrzehnten gekämpft haben?

Stein: Von Beginn an war eine der wichtigsten Triebfedern für unsere Zeitung die Erkenntnis, daß es nicht nur ein publizistisches, sondern auch ein parteipolitisches Vakuum in Deutschland gibt. Spätestens als die angekündigte „geistig-moralische Wende“ der ab 1982 CDU-geführten Regierung unter Kohl ausblieb, zeigte sich ein stetig wachsendes Repräsentationsdefizit. Wir erlebten in der Folge mit Grünen, Linkspartei, einer weiter nach links rutschenden FDP eine breite Ausdifferenzierung des Parteienspektrums auf der Linken – auf der konservativen Seite jedoch Monotonie, einen Abbruch quasi in der „Mitte“ und Friedhofsatmosphäre. Im Editorial der ersten Ausgabe schrieb ich im Juni 1986: „Die Konservativen beginnen langsam zu erkennen, daß sie eine Mehrheit nicht überzeugen, sondern ebenso wie die Liberalen ihre spezifischen Forderungen und Interessen nur über eine Partei außerhalb und gegen die Union durchsetzen können. Über Entwicklungen im freiheitlich-konservativen Bereich und anderen nahestehenden Organisationen werden wir berichten.“ So lautet der Auftrag bis heute!

Sie sind der Frage nach der AfD ausgewichen.

Stein: Die CDU/CSU und die ihr nahestehenden Medien haben sich jahrelang im eingebildeten und gepachtet geglaubten Monopolstatus für das bürgerliche Lager gesonnt und gemeint, mit einer „asymmetrischen Demobilisierung“ unter Merkel, dem Abräumen letzter konservativer Restbestände, sich risikolos der SPD weiter anverwandeln zu können. Doch Überraschung: Die Demokratie lebt! Mit dieser größenwahnsinnig als „alternativlos“ apostrophierten Politik hat sich die politische Tektonik verschoben, und die AfD wurde geboren.

Sie haben sich immer dagegen gewehrt, die JF zu einer Parteizeitung zu machen. Auch jetzt angesichts einer AfD, die kurz davor ist, in den Bundestag einzuziehen?

Stein: Die Frage stellt sich eben nicht zum ersten Mal. Wenn die JF eine Parteizeitung werden würde, wäre sie witzlos. Es gibt nichts Langweiligeres als Parteizeitungen. Deshalb sind sie alle auch untergegangen oder auf ein bedeutungsloses Niveau geschrumpft – nehmen Sie den Vorwärts oder den Bayernkurier. Parteien, Parlament, Regierung brauchen kritische Presse. Und nichts braucht eine junge Partei mehr als kritische Begleitung. Hofberichterstattung hat es von uns früher nicht gegeben, und das bleibt auch in Zukunft so. Wir bleiben unabhängig.

Dennoch wird die JF zuweilen als AfD-Blatt wahrgenommen.

Stein: Das stört mich wenig. Alexander Gauland wurde von der Zeit zitiert mit dem Satz: „Wer die Grünen verstehen will, muß die taz lesen. Wer die AfD verstehen will, muß die JF lesen.“ Das trifft es nicht schlecht. Tatsächlich stellen wir fest, daß derzeit die JF wohl die höchste Abonnentenrate unter AfD-Mitgliedern hat gegenüber anderen Parteien wie CDU oder FDP.

Ist für eine Zeitung mit festem politischen Standpunkt und intellektuellem Anspruch nicht letztlich die mögliche Leserzahl deutlich begrenzt? Wo sehen Sie das natürliche Ende des Wachstums der JF?

Stein: Orientierungspunkt ist für uns als Wochenzeitung ganz unbescheiden der Hamburger Mitbewerber Die Zeit. Diese hat eine verkaufte Auflage von 500.000 Exemplaren, von der wir sicherlich uneinholbar weg scheinen. Es ist aber auffällig, daß die Zeit-Redaktion in den letzten Jahren bemüht ist, immer öfter wenigstens im Atmosphärischen, auf der Gefühlsebene, konservative Saiten zum Schwingen zu bringen und das Image als linksliberales Belehrungsorgan abzustreifen.

Wie erklären Sie sich das?

Stein: Es gibt offensichtlich eine wachsende Skepsis gegenüber dem überhasteten Abräumen der Traditionen, der Bestände, es gibt eine wachsende Reserve gegenüber den Folgeerscheinungen der Globalisierung, des dirigistischen EU-Zentralismus, eine Desillusionierung über das multikulturelle Experiment, wachsende Angst vor dem Islam, der außer Kontrolle geratenen Einwanderung. Diese Irritation reicht nicht nur in die Mitte, sondern weit hinein in das linke Milieu.

Das mag sein, dennoch klingt die Orientierung an der Größenordnung der „Zeit“ wahnwitzig.

Stein: Wir erreichen im Moment fünf Prozent der verkauften Zeit-Auflage. Doch wir wachsen, während die anderen stagnieren oder sinken. Wir jagen FAZ, Welt und anderen Blättern ihre Leser ab. Trotz Enttäuschung von konformistischer gedruckter Tagespresse und Wechsel in Online-Formate – es bleibt ein großer Bedarf an hintergründiger Analyse wenigstens einmal pro Woche. Und es geht nichts über kontemplative Lektüre am Wochenende auf Papier, beim Frühstück oder abends bei einem Glas Wein.

Sind Sie da nicht zu optimistisch? Macht die Zeitungskrise wirklich halt vor der JF? 

Stein: Auch wir bauen selbstverständlich unser elektronisches Angebot konsequent und mit wachsendem Erfolg aus und bleiben damit immer am Puls der Zeit. JF-Online macht faktisch Tagesjournalismus mit 10 bis 15 Beiträgen am Tag. Wir erreichen im Schnitt 60.000 Nutzer täglich und zählen 180.000 Seitenaufrufe. Über Facebook verfolgen über 100.000 Fans unsere Nachrichten, wir sind bei Twitter. Unseren Youtube-Kanal JF-TV bauen wir weiter aus, haben dort bereits über 8.000 Abonnenten, eine Dokumentation zur Asylkrise erreichte dort über 200.000 Zuschauer! Wir werden in diesem Jahr die nächsten Schritte zu einer Bezahlschranke für JF-Online und komfortableren Archiv- und App-Funktionen beschreiten.

Und währenddessen läuten die Totenglöckchen für das gedruckte Medium, zumindest langfristig.

Stein: Nein, natürlich nicht! Kernstück bleibt auch in Zukunft die gedruckte Zeitung. Ich glaube fest daran, daß insbesondere eine gebildete, kulturinteressierte, bürgerliche Zielgruppe auch weiterhin Zeitungslektüre in dieser Form schätzt und erhalten sehen will.

Eine Journalistin des Spiegel hat neulich im ARD-Presseclub vorgeschlagen, endlich auch Vertreter der Jungen Freiheit einzuladen. Warum saß die JF bisher nicht in diesen Runden?

Stein: Tatsächlich war ich das erste und letzte Mal 1992, also vor 24 Jahren, in einer Talkshow des WDR („Drei vor Mitternacht“). Ich diskutierte da mit Dieter Hildebrandt, Jurek Becker und einem linksradikalen Germanisten. Ehrlich gesagt hat die fehlende Bildschirmpräsenz den positiven Nebeneffekt, daß ich privat überwiegend meine Ruhe habe. Das bliebe sicher nicht so, wenn ich öfter eingeladen würde. Andererseits muß es sich ändern, daß in Gesprächsrunden vor allem der zur Neutralität verpflichteten Staatssender fast nur Leute sitzen, die sich gegenseitig auf die Schulter hauen und höchstens ausnahmsweise ein Alibi-Konservativer dabeisitzt. Durch den Erfolg der AfD hat sich das nun schon deutlich verändert. Die Dinge sind in Bewegung.

Noch mal zu Ihnen persönlich: Was bedeutet Heimat für Sie? Was sehen Sie, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?

Stein: Ich bin im oberbayerischen Ingolstadt geboren. Mein Vater war dort als Berufssoldat tätig und wurde bald wieder versetzt. Wir sind oft im süddeutschen Raum umgezogen. Am prägendsten war die Zeit im Isartal, südlich von München. Dort besuchte ich Kindergarten, Grundschule und die zwei ersten Jahre auf dem Gymnasium. Sommerliches Baden in der eiskalten Isar, Paddeln auf dem Starnberger See, Oktoberfest, Kopfschmerzen bei Fönwetter, Pilze sammeln, wie ich beim Schlittschuhlaufen auf dem Stocker Weiher in Icking eingebrochen bin, barfuß mit Blechkanne Milch beim Bauernhof holen, im Winter lange und im Sommer kurze Lederhose als Standardbekleidung, Zündeln im Wald ... das sind die Bilder meiner kindlichen Heimat.

Sehnen Sie sich denn nach Süddeutschland, oder fühlen Sie sich inzwischen als Berliner?

Stein: Wir zogen mit der Familie aufgrund einer neuerlichen Versetzung meines Vaters 1979 von Bayern nach Südbaden in die Nähe von Freiburg. In Stegen im Dreisamtal habe ich 1988 Abitur gemacht und in Freiburg bis 1993 studiert. Meine beiden älteren Brüder sind aber in Berlin geboren, während des Studiums meiner Eltern, ich war als Schüler öfter dort – es war mir schon vertraut. Nachdem ich 1993 mit der JF dorthin gezogen war, habe ich aber lange die Berge vermißt. Es gab länger so einen Phantomschmerz, wenn ich an den Horizont blickte und das Auge auf nichts stößt. Manchmal lösen aufgetürmte Wolken eine optische Täuschung aus, die man für Berge halten könnte. Dann denke ich: Ach, wie früher.

Und jetzt?

Stein: Meine Kinder sind in Berlin geboren, mein halbes Leben habe ich hier verbracht, jetzt bin ich hier zu Hause.

Sie sind nicht nur Chefredakteur, sondern auch Geschäftsführer des JF-Verlages mit inzwischen knapp 40 Mitarbeitern, Sie schreiben wöchentlich in der Zeitung, auf Twitter, Facebook. Sie sind daneben Vorsitzender der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF), die seit fünf Jahren eine Bibliothek mit Veranstaltungen und Seminaren unterhält. Und Sie haben eine Familie mit vier Kindern. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?

Stein: Es ist manchmal schon ein Hamsterrad, in dem ich mich bewege. „Immer ist irgendwas“ ist so ein geflügeltes Wort in der Firma. Es ist außerdem eine Krankheit unserer Zeit, daß wir immer erreichbar sein sollen, immer online, immer im Datenstrom. Auch ich habe damit zu kämpfen, und es fällt mir nicht leicht, abzuschalten. Aber mir wird zunehmend bewußt, daß wir alle zuweilen auch mal neben uns treten, uns „ausklinken“ müssen, um neue Kraft zu tanken, sonst fahren wir körperlich und seelisch zu sehr auf Verschleiß.

Wie suchen Sie Abstand?

Stein: Nun, ich versuche es zumindest. Glücklicherweise habe ich eine tolle Mannschaft in der Redaktion, im Verlag insgesamt und eine Führungsgruppe, die mir den Rücken freihält. Die mir öfter einen Schubs gibt, Dinge loszulassen oder Prioritäten anders zu setzen. Und ich habe glücklicherweise eine Ehefrau, die hinter mir steht und sich überwiegend um die Familie kümmert. 

Welche Rolle spielt ihr Glauben?

Stein: Ich bin christlich erzogen worden, und die Vorstellung einer höheren Instanz, der auch der Mächtigste sich eines Tages unterordnen muß, und sei es im Angesicht des Todes, relativiert alles. Der Glaube an Gott ist der letzte Anker, der uns immer hält. Als Konfirmationsspruch habe ich mir von Timotheus gewählt: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, dazu du auch berufen bist und bekannt hast ein gutes Bekenntnis vor vielen Zeugen.“ Den Satz habe ich immer wieder im Kopf, auch für die Arbeit. Oder die Parole von Jake und Elwood Blues aus dem Lieblingsfilm meiner Jugend, „Blues Brothers“: „Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs.“

Die Fragen stellten mehrere JF-Redakteure