© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Armenien-Resolution
Moralische Anmaßung
Thorsten Hinz

Was den Armeniern im Osmanischen Reich angetan wurde, erfüllt gewiß die Kriterien des Völkermords. Doch fällt es nicht in die Kompetenz des Bundestages, der Türkei den Umgang mit ihrer Geschichte vorzuschreiben. Politisch ist das nur kontraproduktiv.

Die Resolution atmet die Mischung aus Zerknirschung – sie bekundet eine Mitschuld des Deutschen Reiches und den Vorrang des Holocaust – und moralischer Anmaßung, von der man hierzulande glaubt, sie müsse den Rest der Welt verzücken. Im übrigen war die Abstimmung eine Ersatzhandlung, in der sich aufgestauter Abgeordnetenfrust entlud: der Frust über den diktatorisch und erpresserisch agierenden türkischen Sultan Erdogan – und über Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Bundestag zur puren Statistenversammlung degradiert hat.

Merkel nahm hin, was sich nicht verhindern ließ. Psychologisch und machttechnisch ist die Entladung des Gefühlsstaus für sie sogar nützlich. Um Erdogan, der ihr flüchtlingspolitisches Kartenhaus jederzeit umblasen kann, dennoch milde zu stimmen, blieb die überzeugungsfreie Taktikerin der Abstimmung fern. Und der Bundestag? Der flieht wortreich vor der Aufgabe, die ihm noch zukommt: die Kanzlerin zu stürzen und das eigene Versagen im politischen Verhängnis aufzuarbeiten, das Merkels Namen trägt.