© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Mouhanad Khorchide will einen neuen Islam – und bringt viele Moslems gegen sich auf
Der Reformator
Fabian Schmidt-Ahmad

Freiheit, Eigenverantwortlichkeit und ein Gott, der aus Liebe den Gläubigen in eben diese entläßt – alles Werte, die dem weltweit gelebten Islam überwiegend zutiefst widerstreben. Und doch: Diese Ideen seien als Keim in ihm enthalten – das behauptet zumindest der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Nur wer den Koran als ein Buch des 7. Jahrhunderts begreife, könne erfassen, was dieser uns Menschen der Gegenwart sagen will. Eine hermeneutisch-kritische Lesart, die Gewicht hat. Denn seit 2010 leitet Khorchide die Professur am „Centrum für religionsbezogene Studien“ der Universität Münster. Er ist damit gewissermaßen Imam der Imame und Lehrer der Lehrer, die in Deutschland Schülern ein modernes Verhältnis zum Islam vermitteln sollen.

Damit besitzt der 1971 als Sohn palästinensischer Flüchtlinge in Beirut geborene Khorchide, der seit 1993 die österreichische Staatsbürgerschaft hat, eine Schlüsselposition, die ihn zahlreichen Anfeindungen aussetzt. Der Koordinationsrat der Muslime beispielsweise, in dem die vier größten deutschen Islam-Organisationen vertreten sind, unterstellte 2013 der Vorstellung des Religionspädagogen und Soziologen von einem „Islam der Barmherzigkeit“ in einem Gutachten Unwissenschaftlichkeit und Unfähigkeit „zur bekenntnisgebundenen Islamtheologie“. Auch der von der Türkei kontrollierte Islamverband Ditib forderte öffentlich die „einschlägigen Stellen“ dazu auf, „entsprechende Schritte“ gegen Khorchide„einzuleiten.

Der Haß gegen Khorchide – der nach Morddrohungen mittlerweile unter Polizeischutz lebt – ist leicht erklärlich: Die dem Islam bisher wesentliche Rechtleitung von außen wird bei ihm durch eine innere ersetzt, wonach der Gläubige seinen eigenen Weg finden muß. Dadurch steht dieser aber nicht mehr länger als Organisationsmasse eines orthodoxen Islams zur Verfügung. Es geht also um Macht – um viel Macht. Und darum, zu einem eigenen Islamverständnis zu gelangen. So zeigt Khorchide in Streitgesprächen mit dem Islamkritiker Hamed Abdel-Samad Eigenschaften, die bei deutschen Islamfunktionären wohl so wenig verbreitet sind wie bei IS-Kämpfern: Einsicht und Selbstkritik und damit auch die Fähigkeit zur Weiter- und Höherentwicklung.

Es ist eine Gratwanderung, ein Abgrund auf beiden Seiten. Khorchides Vorgänger auf dem Lehrstuhl, Sven Kalisch (JF 19/09) – damals ebenso heftig angefeindet wie dieser heute –, verlor ob der Auseinandersetzung gar seinen religiösen Glauben. Der Weg zu einem sogenannten Euro-Islam dürfte also sehr lang und extrem steinig sein. Eine „aufklärerische Arbeit“ nennt dies Mouhanad Khorchide, „die sicher noch sehr viel Geduld und sehr gute Nerven brauchen wird“. Doch unumgänglich ist sie, denn entweder wird sich die Europäisierung des Islams durchsetzen – oder aber die Islamisierung Europas.