© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Rosa Elefant zu Gast
Matthias Bäkermann

Maßgebender als der Buchautor Václav Klaus, als tschechischer Ministerpräsident (1992 – 1998) und Staatspräsident von 2003 – 2013 ein wesentlicher Gestalter der postkommunistischen Ära unserer Nachbarn an der Moldau, und interessanter als das Podium mit dem Politiker und Publizisten Thilo Sarrazin, die am vergangenen Freitag die Aufmerksamkeit der Hauptstadtjournalisten auf sich zogen, war ein besonderer Ehrengast: der rosa Elefant.

Diese kognitionspsychologische Figur, imaginär zwar die Diskussion beherrschend, aber von niemandem direkt artikuliert, war im Kontext des vorgestellten Buches über die europäische Migrationskrise niemand anderes als: Angela Merkel. Denn seine Streitschrift, das betonte Klaus gleich zu Beginn, greife keinesfalls die Migranten an, deren Verhalten er als „ganz logisch“ bewerte. Diese hätten „unsere Rufe nur erhört“, bekannte der EU-kritische Politiker durch den Gebrauch dieses Possessivpronomens ebenso betont-europäisch wie diplomatisch. 

Vielleicht gebot letzteres auch die räumliche Nähe des Hauses der Bundespressekonferenz zum Kanzleramt, so daß der Staatsmann es vermied, Merkel direkt als Zentralschuldige der vom „Moralismus durchdrungenen Verantwortungslosigkeit“ vorzuführen. Denn die „bei uns“ ausgelöste Massenmigration bedeute eine reale Gefahr für den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa und sei, anders als alle anderen Politikfelder, seltsamerweise nicht vom „präventiven Vorsorgegedanken dominiert“. Dahinter stecke die Ideologie des Multikulturalismus, sekundierte Co-Autor Jirí Weigl. Und mit gesellschaftlichen Sozialexperimenten habe man besonders in Tschechien einschlägige Erfahrungen. Vor denen schütze derzeit im Zweifel allein die Nationalstaatlichkeit. 

Ausgerechnet an diesem Punkt widersprach Thilo Sarrazin. Der EU-Zentralismus sei nicht schuld am „Ausnahmezustand“ in Europa. Tatsächlich könnten ein schlagkräftiges EU-Innenministerium und zentral gesteuerte Grenzkontrollen hilfreich sein, allein schon, um für die Staatengemeinschaft die in Deutschland derzeit nivellierten Unterschiede von Asyl und Einwanderung wieder zu kontrastieren. Entweder – oder, mehr Europa oder zurück zur Nation, das müsse der Weg sein. Da Sarrazin sogleich prognostizierte, daß der Schengenraum bald zerbreche und sich Europa wieder dezentralisieren werde, offenbarte sich sein vorgetragenes „Wunschdenken“ freilich als dialektischer Trick, eben doch der Nation als realpolitischer Alternative das Wort zu reden.

Einig waren sich Sarrazin und Klaus in der Ablehnung kulturfremder Masseneinwanderung. Diese sei trotz aller offiziellen Rhetorik „keine Bereicherung“, sondern belaste absehbar unsere sozialen Sicherungssysteme auf Jahrzehnte. Wenn man sich tatsächlich um die Vakanzen auf dem Arbeitsmarkt von morgen sorge, dann könnten diese leicht aus dem Heerlager der 23 Millionen Arbeitslosen innerhalb der EU aufgefüllt werden, so Klaus.

Václav Klaus, Jirí Weigl: Völkerwanderung. Kurze Erläuterung der aktuellen Migrationskrise. Edition Sonderwege, Waltrop und Leipzig 2016, broschiert, 95 Seiten, 12,80 Euro