© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Von den Klassikern beeinflußt
Maler, Musiker, Lyriker und Schriftsteller: Die Opelvillen Rüsselsheim zeigen Werke von Billy Childish
Claus-M. Wolfschlag

Einen Ausnahmekünstler präsentieren derzeit die Rüsselsheimer Opelvillen. Der 1959 geborene Engländer Billy Childish, eigentlich William Charlie Hamper, ist nicht allein Maler, sondern auch Dichter, Schriftsteller und Musiker. 

Childish vereinigt viele Widersprüche in sich. Sein Werk ist zugleich rauh und zart, rebellisch und harmonisch, modern und traditionell. War er viele Jahre alkoholabhängig, so praktiziert er heute Hatha Yoga. Bereits im Alter von zwölf Jahren begann er, intensiv zu malen. Da er mit sechzehn die Schule verließ, war ihm der Weg zur nötigen Weiterbildung und einer Kunstschule zunächst verschlossen. Er begann eine Steinmetz-Ausbildung, kassierte eine Bewährungsstrafe wegen aufsässigen Verhaltens, malte privat weiter. Als er schließlich aufgrund außergewöhnlicher Fähigkeiten doch zur „Genieklasse“ einer Kunstschule zugelassen wurde, verließ Childish die Einrichtung bereits wieder im ersten Semester. Er lehnte die Fixierung der Hochschule auf ungegenständliche Kunst ab. Durch Protektion des schottischen Malers Peter Doig wieder aufgenommen, wurde er schließlich 1981 von der Hochschule ausgeschlossen, da seine Texte als obszöne Poesie eingestuft wurden. Auch mit dem abstrahierenden Mainstream in der Kunstszene lag Childish über Kreuz. In den neunziger Jahren beteiligte er sich aus Protest an der abstrakten Konzeptkunst Henry Flynts an der Bewegung der „Stuckisten“.

Die in Rüsselsheim gezeigten rund zwanzig meist großformatigen Gemälde belegen, daß sich Childish im Gegensatz zu vielen Kollegen seiner Generation für die Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts begeistert. Viele Arbeiten sind in Komposition und Linienführung eindeutig von Klassikern jener Epoche, etwa Ferdinand Hodler oder Egon Schiele, beeinflußt. Nicht nur das Blumenstilleben „Orange gerberas“ von 2015 erinnert an den Pointillismus van Goghs. 

Häufig zeigen die Rüsselsheimer Exponate Selbstporträts. Zu den Familienbildnissen gesellen sich eindrucksvolle Landschaftsgemälde, wie die „birch trees“ von 2015, bei denen ein Birkenwald stimmungsvoll in Gelb, Blau und Grün schimmert. In dem Bergsteiger-Bild „Fetching the body of Toni Kurz“ (2012) präsentiert sich der zwischen weißen Eisflächen herausplatzende Fels wie mit farbigem Konfetti bestreut. In „The white tree“ von 2014 löst sich ein im Wasser spiegelnder Wald in ein blau-schwarzes Liniengewirr auf. Auffallend ist immer wieder, wie sicher und leicht Childishs Linienführung gerät. Überhaupt ist die ornamentale Linie gegenüber den Farbflächen oft das dominierende Strukturelement. So ist es nur konsequent, daß große Teile der Leinwände oft noch unbemalt den Hintergrund prägen, die Malerei eine zeichnerische Note hat.

Gedichtbände, Romane, über einhundert Alben

Neben der Malerei betätigt sich Childish schriftstellerisch. 40 Gedichtbände und fünf Romane hat er bislang veröffentlicht. Einige der Werke, die mit expressionistischen Holzschnitten auf den Titelseiten geziert sind, können ebenfalls in Rüsselsheim betrachtet werden.

Die bereits die Malerei kennzeichnende Ablehnung jüngerer Kunst-Tendenzen findet seine Entsprechung in Childishs Auftreten. Mit gezwirbeltem Bart, Sherlock-Holmes-Mütze, Hosenträgern und Fliege wirkt er bisweilen wie ein englischer Gentleman der 1920er Jahre. Dies bricht sich wiederum mit Childishs drittem Talent, betätigt er sich doch seit Jahren als Punk-Musiker. Bereits 1977 gründete er seine erste Band. Seitdem veröffentlichte er über hundert Alben. Die Ausstellung zeigt Ausschnitte von seinen Auftritten, bei denen sich Sakko und Baskenmütze auf interessante Weise mit dem rauhen, von Blues und Punk geprägten Musikstil verbinden. Doch auch hier tritt wieder ein konservativer Zug deutlich hervor. Für Liveauftritte und Aufnahmen verwendet Childish alte Röhrenverstärker und meidet moderne Studio-Sounds. So entsteht auch auf dieser Ebene der Eindruck einer partiellen Zeitreise und einer konservativen, wie modernen Künstlerpersönlichkeit.

Die Ausstellung „Billy Childish. Unbegreiflich aber gewiß“ ist noch bis zum 26. Juni in den Opelvillen Rüsselsheim, Ludwig-Dörfler-Allee 9, zu sehen. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag von 10–18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Telefon: 0 61 42 / 835 907

 www.opelvillen.de