© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Bedingungsloses Grundeinkommen
Der Raub würde Gesetz
Pierre Bessard

Zu den verwirrendsten Reformideen, die gegenwärtig zirkulieren, zählt die eines „bedingungslosen Grundeinkommens“. Es geht dabei um nichts Geringeres als die monatliche Zahlung eines ausreichenden Geldbetrags „zur Deckung der Grundbedürfnisse“ an jedermann. Unabhängig von seinen materiellen Verhältnissen soll eine lebenslange Rente ohne Gegenleistung und Voraussetzung überwiesen werden, von der Geburt bis zum Tod. Damit würde jeder Bürger unter die finanzielle Vormundschaft des Staates und in die Abhängigkeit der anderen gestellt.

Angesichts der Tatsache, daß die Finanzierung eines solchen Systems zwangsläufig vom Arbeitseinsatz und der Besteuerung jener abhinge, die noch zu arbeiten bereit sind, würde so die Zwangsarbeit ins Recht gesetzt, um die „Bedürfnisse“ derer zu befriedigen, die sich keine beruflichen Fertigkeiten mehr aneignen und keiner produktiven Tätigkeit mehr nachgehen, um für ihren Konsum aufzukommen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre somit die heimliche Erfüllung der sozialistischen Devise „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Die tatsächliche Folge wäre ein allgemeiner Zusammenbruch der Wirtschaft und der Moral, denn wenn einmal der Anreiz zu arbeiten und für sein Leben aufzukommen zerstört ist, dann kann man zweifeln, ob selbst die ehrgeizigsten Personen noch bereit wären, sich für längere Zeit zugunsten jener ausnehmen zu lassen, die ihre Arbeitstätigkeit reduzieren, um eine Rente zu beanspruchen, welche aus der Leistung anderer finanziert wird. Je mehr das Nichtstun für die ganze Bevölkerung auf der Höhe der Lebenshaltungskosten unterstützt würde, desto mehr verringerte sich wahrscheinlich der Umfang der geleisteten Arbeit, womit auch die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens gefährdet würde.

Die unvermeidliche Folge wäre ein Abrutschen in eine autoritäre Gesellschaft, in welcher der Staat schließlich den Arbeitseinsatz eines jeden „gemäß seinen Fähigkeiten“ vorschriebe. Die freie Marktwirtschaft, die auf dem beiderseitig vorteilhaften Tausch beruht, würde so wie in jeder sozialistischen Gesellschaft nach und nach durch eine Kommandowirtschaft ersetzt.

Der Bürger verlöre bald auch die Freiheit, seinen Beruf frei zu wählen und seine Zeit einzuteilen. Zweifellos würde ihm auch verboten, sein Land zu verlassen. Mit dem Verlust an Effizienz und dem Absinken der Produktivität, die sich daraus ergäben, sähe sich jeder Bürger einem rasant sinkenden Lebensstandard ausgesetzt, was ihn zwänge, länger zu arbeiten, um für seine Lebenshaltung aufzukommen.

Zuerst ist ein bedingungsloses Grundkommen ethisch zu kritisieren, denn es ist ein Frontalangriff auf die Würde und die Selbstbestimmung des Menschen. Es nimmt die Zerstörung des Grundrechts auf Eigentum hin, das ja beinhaltet, daß ein jeder der Eigentümer seines Humankapitals und der Früchte seiner Arbeit ist. Ein bedingungsloses Grundkommen würde die Beraubung zum Gesetz erheben, da es ein Recht verliehe, auf Kosten der anderen zu leben, was der grundlegendsten Moral widerspricht. Indem es die materiellen Bedürfnisse von jedem anstatt die Schaffung von Reichtum durch Tausch in den Vordergrund stellt, wäre eine Verarmung der Gesellschaft die Folge.

Vor allem aber schüfe es die Illusion, daß der Mensch auf Kosten der Leistungen anderer leben kann. Der liberale Ökonom Frédéric Bastiat hat diesen unversöhnlichen Gegensatz sehr gut herausgearbeitet: „Der Mensch kann nur durch dauernde Assimilation und Aneignung leben und genießen, das heißt durch die andauernde Anwendung seiner Naturbeherrschung oder durch Arbeit. Das Ergebnis nennen wir Eigentum. Er kann aber auch leben und genießen, indem er sich die Frucht der Arbeit seines Nächsten aneignet. Das Ergebnis nennen wir Raub.“

Wenn das Einkommen ein Recht ist anstatt das Ergebnis einer erfüllten Pflicht auf der Grundlage des freien Willens, sein Leben selbständig zu erhalten, dann wird es zum Anspruch auf die Früchte der Arbeit anderer. Eigentum aber ist nicht irgendeine Übereinkunft.

Diese Formel erfaßt treffend den Zwiespalt, über den sich die Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens ausschweigen. Denn wenn das Einkommen ein Recht ist anstatt das Ergebnis einer erfüllten Pflicht auf der Grundlage des freien Willens, sein Leben selbständig zu erhalten, dann wird es zum Anspruch auf die Früchte der Arbeit anderer. Das Einkommen eines Individuums, das sich auf ein solches Recht beruft, wird dann durch die Verletzung des Eigentums eines anderen über die Steuern finanziert.

Das Eigentum ist aber nicht irgendeine Übereinkunft neben anderen, sondern die Voraussetzung der Arbeitsteilung und der gesellschaftlichen Harmonie. Der Recht auf Eigentum begrenzt die Freiheit von jedermann, indem es die Beachtung der Integrität und des Besitzes der andern einfordert. Daher ist es die Freiheit selbst, die ein bedingungsloses Grundeinkommen aufs Korn nimmt, indem die Fähigkeit zur Selbstbestimmung des Menschen in einem System der Knechtung eines jeden durch jeden nicht mehr anerkannt und die Gesellschaft im Widerspruch zu sich selbst organisiert wird. Dadurch wird die persönliche Wahl bestritten.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht nur eine materialistische Illusion, das vergebliche Versprechen von unbegrenztem Konsum und einem Paradies auf Erden, sondern eine Rückkehr der politischen Unterdrückung, ist dabei doch die Freiheit des einen nur um den Preis der Verletzung der Freiheit des anderen möglich. Das bedingungslose Grundeinkommen verheißt nicht Freiheit, sondern eine der Moral entledigte Erlaubnis. In ethischer Sicht bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen daher die Demokratisierung von Plünderung.

Praktisch gesehen verstößt ein bedingungsloses Grundeinkommen gegen das natürliche Empfinden, denn die Anstrengung in der produktiven Arbeit, um zu überleben, was bekanntlich nicht von allein geschieht, gehört zur Daseinsform des Menschen. Es ist die Sache eines jeden, dafür zu sorgen, sich eine Ausbildung anzueignen, eine nützliche Tätigkeit im Dienst der andern auszuüben, für die eigene Befähigung im Arbeitsmarkt zu sorgen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und auf der Grundlage der Wechselseitigkeit und des Tausches (namentlich zwischen Arbeit und Lohn) genügend zu verdienen, um für seinen Konsum aufzukommen.

Eine andere Methode, um rechtmäßig zu Reichtum zu kommen, gibt es nicht: Wo ein freier Markt von der Politik unterdrückt wird, da entstehen, wie wir weltweit beobachten können, informelle Märkte oder Schwarzmärkte.

Haben wir diese Tatsachen erst anerkannt, dann ist jeder frei darin, nicht mehr zu verdienen, als er möchte, und zwischen Arbeitszeit und Freizeit, zwischen Familienleben und anderen Beschäftigungen usw. frei zu wählen. Die Entscheidungsfreiheit ist übrigens um so größer, je blühender die Wirtschaft ist. Die Verschiedenheit der individuellen Entscheidungen ist Ausdruck dieser Vielfalt.

So können zwei Menschen mit der gleichen Ausbildung zwei völlig verschiedene Lebensläufe wählen. Ein Finanzmarktspezialist kann sich für eine sehr gut bezahlte Stelle in einer Bank entscheiden oder sich der Forschung und der Lehre widmen oder aber auf seine sportlichen, kulturellen oder wohltätigen Leistungen setzen.

Man unterschätze nicht die persönliche Würde, die sich aus der finanziellen Selbständigkeit durch den Dienst am andern im Gegensatz zu einer Rente, durch die das grundlegende Recht auf Eigentum jener, die dafür bezahlen müssen, verletzt wird, ergibt. Das Glück des Menschen ist aufs engste mit jener Unabhängigkeit verknüpft. Das Ergebnis dieser Autonomie ist nicht Selbstgenügsamkeit, sondern der Einklang aus der gesellschaftlichen Kooperation auf der Grundlage des frei gewählten Tausches, das Gefühl, nützlich zu sein und die Zufriedenheit angesichts einer gut ausgeführten Arbeit.

Die Advokaten eines Grundeinkommens stützen ihre Analyse auf ein völlig wirklichkeitsfremdes Wirtschaftsverständnis, wenn sie die Arbeitslosigkeit und die Unsicherheit des Arbeitsmarktes dem freien Unternehmertum anlasten. 

Daher müssen die Vertreter eines bedingungslosen Grundeinkommens ihre Argumentation mit Angst begründen: der Angst, seine Stelle zu verlieren, der Angst vor Arbeitsplatzverlust wegen des technischen Fortschritts oder der Angst vor Stigmatisierung aufgrund des Erhalts von Arbeitslosengeld oder Sozial­hilfe. Die Erfahrung der wirtschaftlichen Tätigkeit zerstreut aber alle diese Ängste: Die Marktwirtschaft hat im historischen Vergleich nicht nur Stellen mit deutlich besserer Bezahlung, mehr Befriedigung und weniger körperlich harter Arbeit hervorgebracht. Auch ist die menschliche Ressource – im eigentlichen Wortsinn – zur wichtigsten Ressource geworden.

Die Advokaten eines bedingungslosen Grundeinkommens stützen ihre Analyse auf ein völlig trügerisches und wirklichkeitsfremdes Wirtschaftsverständnis ab, wenn sie die Arbeitslosigkeit und die Unsicherheit des Arbeitsmarktes dem freien Unternehmertum anlasten. Die Ursache ist vielmehr die katastrophale staatliche Politik mit einer ganz auf den Staat abgestellten sozialen Absicherung, unmäßigen Steuern, mit Interventionismus und Protektionismus, die allesamt die Produktivität verringern und den Anreiz zur produktiven Arbeit abschwächen und schließlich die Unternehmer aus dem Land vertreiben.

Ebenso veranschaulicht der Aufschwung vieler aufstrebender Länder, wo die Armut massiv verringert worden ist, die wichtige Rolle der Liberalisierung, der Privatisierung und eines liberalen Rechtsstaats bei der Erleichterung von Investitionen, Innovation und produktiven Arbeitsplätzen. Ausschlaggebend für den Wohlstand ist das Ausmaß der Wirtschaftsfreiheit. Dagegen klammern sich die Vertreter eines bedingungslosen Grundeinkommens an eine Analyse, die von der gesamten Wirtschaftsgeschichte widerlegt wird. Arbeitsplätze verschwinden typischerweise in sozialistischen und verstaatlichten Systemen, nicht in einer von Neuerungen bestimmten Wirtschaft. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde die Schaffung von Arbeitsplätzen offensichtlich schwer gefährden, denn es ist die Arbeit, die Wirtschaftswachstum schafft, nicht umgekehrt.

Mit der Abschaffung der Verantwortung eines jeden für seinen Lebensunterhalt würde ein bedingungsloses Grundeinkommen in einzigartiger Weise die individuelle Freiheit erodieren. Je weniger Stellen es gäbe, desto mehr würde der Rückgang bei den Einkommen den Handlungsspielraum des einzelnen und der Familien verringern.

In der Logik der zerstörerischen Utopie des Sozialismus würde ein bedingungsloses Grundeinkommen in entscheidender Weise die Achtung vor dem Eigentum und der Wertschöpfung durch Märkte und wechselseitig nutzenbringenden Tausch in Frage stellen. Es ist übrigens auch kein angemessener Ersatz für den Sozialstaat, dessen Probleme gerade in der übertriebenen Umverteilung begründet liegen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet eigentlich einen Aufstand gegen die Lebenswirklichkeit des Menschen, wonach dieser arbeiten muß, um sich am Leben zu erhalten, und die Abhängigkeit der Finanzierung seines Lebens von der Leistung anderer, was konsequent zu Ende gedacht zu Zwangsarbeit führen würde. Intellektuell gleicht die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens bestenfalls der Laune eines Kindes, das noch nicht zur Vernunft gekommen ist (und die Ethik der Reziprozität in zwischenmenschlichen Beziehungen noch nicht verinnerlicht hat), schlimmstenfalls einem unehrlichen Versuch, den Sozialismus durch die Hintertür einzuführen. 






Pierre Bessard, Jahrgang 1975, ist Ökonom sowie Mitglied des Stiftungsrates und Direktor des Liberalen Instituts in Zürich und Genf. Er kommentiert regelmäßig für die französischsprachige Wirtschaftszeitung L’Agefi. Der nebenstehende, gekürzte Text wurde erstmals vom Liberalen Institut publiziert.

Foto: Schlaraffenland mit Grundeinkommen? Eine materialistische Illusion: Die Finanzierung eines solchen Systems hinge zwangsläufig vom Arbeitseinsatz und der Besteuerung jener ab, die noch zu arbeiten bereit sind. Zwangsarbeit würde so ins Recht gesetzt, um die Bedürfnisse derer zu befriedigen, die sich keine beruflichen Fertigkeiten mehr aneignen und keiner produktiven Tätigkeit mehr nachgehen wollen.