© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Westliche Werte im Kugelhagel
USA: Das Orlando-Massaker trifft das Land ins Mark und verdeutlicht die Einflußmacht von IS und al-Nusra
Michael Link

Es war nicht das erste Mal, daß der scheidende US-Präsident Barack Obama am vergangenen Sonntag mit ernster Miene vor die Kamera trat, um einen Terroranschlag zu verurteilen. Doch das Ausmaß des schlimmsten Anschlags während Obamas Amtszeit, bei dem in der Nacht auf den 12. Juni 49 Menschen erschossen und 53 Menschen verletzt wurden, aber auch die mögliche Bedeutung des Attentats für die Wahl seines Amtsnachfolgers gaben seinen Worten eine besondere Dimension. „Kein Akt des Hasses oder des Terrors wird jemals ändern, wer wir sind oder was die Werte sind, die uns zu Amerikanern machen“, appellierte Obama an die Einigkeit und Solidarität im Land und sprach sogar vom „tödlichsten Massaker in der US-Geschichte“.

Attentäter war kein unbeschriebenes Blatt

Doch Obama vermied die Worte Islamismus oder islamistischer Terror, obwohl Omar Mateen bereits nach den ersten Schüssen in der vorwiegend von Homosexuellen und Latinos besuchten Disco „Pulse“ in Orlando im US-Bundesstaat Florida sich im Telefonat mit der Polizei zum Islamischen Staat bekannt hatte. Prompt handelte sich Obama wenige Stunden später eine Rücktrittsaufforderung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ein, der angesichts seiner islamkritischen Haltung Punkte für den Wahlkampf sammeln will.

Der Islamische Staat (IS) lobte in einer Radiobotschaft auf Al-Bayan, dem offiziellen Verlautbarungsorgan der Dschihadisten in ihrem Herrschaftsbereich in Syrien und dem Irak, den 29jährigen Attentäter als „Soldaten des Kalifats“. Offen blieb darin, ob der Anschlag tatsächlich von der Führungsebene des IS geplant und in Auftrag gegeben wurde.

Jim Bueermann, Gründer der Wa-shingtoner Police Foundation für eine optimierte Polizeiarbeit, sieht mehrere Parallelen zu dem Anschlag in San Bernardino am 2. Dezember vergangenen Jahres. Damals stürmte ein Paar mit pakistanischen Wurzeln die Weihnachtsfeier des Inland Regional Centers, einer der großen kalifornischen Einrichtungen zur Unterstützung von Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung. Mit Sturmgewehren ausgerüstet schossen die beiden Attentäter wahllos in die Menge und töteten 14 Menschen. Im Anschluß plädierte Obama für eine Verschärfung des Waffenrechts und warnte davor, den Muslimen in den USA mit Mißtrauen gegenüberzutreten.

Alle drei Schützen – Omar Mateen in Florida, Syed Rizwan Farook und Tashfeen Malik in San Bernardino – gerieten zunehmend unter islamistischen Einfluß, wurden so radikalisiert und schworen kurz vor den Terroranschlägen dem IS ihre Treue. Überdies arbeitete auch Farook für die Homeland Security. Schließlich handelte es sich um Personen, die jeweils einen für den Westen repräsentativen Ort angreifen, erklärt Bueermann – einen Ort, der für amerikanische Werte, für Freiheit oder für westlichen Lebensstil stehe.

Mateen, ein in New York geborener und in Florida aufgewachsener Sohn afghanischer Einwanderer, war für die Sicherheitsfirma G4S und die Homeland Security tätig und demnach im legalen Besitz von Schußwaffen. Doch obgleich Mateen bei den Behörden kein unbeschriebenes Blatt war, stand er nicht auf der Terrorliste des FBI. So bestätigte das FBI Hinweise, daß der Täter mit der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sympathisiert habe. Auch Adam Schiff, Minderheitenführer der Demokratischen Partei, teilte mit, daß Mateen dem IS Gefolgschaft geschworen habe. Mateen war 2014 wegen Verbindungen zu Moner Mohammad Abusalha, einem islamistischen US-Bürger aus Florida, ins Visier des FBI geraten. Beide hatten das Islamische Zentrum von Fort Pierce besucht. Moner Mohammad Abusalha hatte sich nach Meldungen der Washington Post vor zwei Jahren für die Terrororganisation al Nusra-Front in Syrien in die Luft gesprengt. Mateens letzter Besuch im Islamischen Zentrum von Fort Pierce fand nur zwei Tage vor dem Terroranschlag statt.

Starke Abneigung gegen Homosexuelle 

Mateen, der nach Angaben von Augenzeugen selbst häufig den Pulse-Nachtclub besuchte, war auch ein Anhänger des radikalen Imams Marcus Dwayne Robertson, eines ehemaligen US-Soldaten, von seinen Gefolgsleuten „Abu Taubah“ genannt. In den neunziger Jahren hatte Robertson eine Bankräuber-Bande namens „Ali Baba und die vierzig Räuber“ angeführt, ehe er das islamische Timbuktu-Seminar gründete und die Ausbildung und Rekrutierung von Terroristen unterstützte. 2011 wurde „Abu Taubah“ wegen illegalen Waffenbesitzes und Steuerbetruges zu vier Jahren Haft verurteilt.

Sein Imam Syed Shafeeq Rahman nannte Mateen „friedlich“, doch dessen Ex-Ehefrau Sitora Yusufiy hat ein völlig anderes Bild. „Er war ein verstörter Mensch mit psychischen Problemen“, berichtete sie. „Er hat mich auch körperlich mißhandelt. Jeden Moment konnte er durchdrehen.“ Der Vater des Attentäters, Mir Seddique Mateen, erzählte von einem Wutausbruch seines Sohnes, als er vor einigen Monaten ein schwules Pärchen in Miami auf der Straße gesehen hatte. Mir Seddique Mateen bedauerte in einer Videobotschaft die Tat seines Sohnes, insbesondere da er sie während des Fastenmonats Ramadan begangen habe, verbarg allerdings nicht seine Sympathien für die Taliban und seine Abneigung gegenüber Homosexuellen, die Gott „bestrafen“ werde.