© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Ausstellung mit agitatorischer Absicht
Fehlgeschlagene Schau in Berlin: Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute
Karlheinz Weißmann

In seinem 1933, schon im Exil, erschienenen Roman „Erfolg“, der sich mit dem Aufstieg Hitlers befaßte, kam Lion Feuchtwanger auch auf die Karriere des Hakenkreuzes zu sprechen. Er stellte die Phasen seiner Wiederentdeckung und Politisierung vor dem Ersten Weltkrieg dar und fügte in einer Nebenbemerkung hinzu: „Ein Leipziger Geschäftsmann stellte Klebemarken her, auf denen das Hakenkreuz prangte, umkränzt von dem Spruch: ‘Arierblut / höchstes Gut’.“

Ein Block mit vier Exemplaren dieser Marke findet sich auch in der aktuellen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin (DHM). Unter dem Titel „Angezettelt“ geht es hier um antisemitische und rassistische Kleinpropaganda: „Spuckis“, Klebezettel, Plakatmarken und anderes, was gewöhnlich unter die Ephemera gezählt wird, also jene Menge gedruckten, eigentlich nur für den Tagesgebrauch vorgesehenen und selten konservierten Materials, das von der Mitte des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eine wachsende Bedeutung für die Wirtschafts- und die politische Reklame gewann. Allerdings wurde die erwähnte Klebemarke hier der „nationalsozialistischen Bewegung“ um 1934 zugeordnet. Daß das falsch ist, hätte sich schon daraus ergeben müssen, daß die Sentenz „Arierblut – höchstes Gut“ nicht zu den Parolen der NSDAP gehörte. Zudem entsprach die Farbgebung in Blau und Gold nicht der Parteiemblematik, sondern nahm auf die „arischen Farben“ (wegen der blauen Augen und blonden Haare als Rassemerkmal) Bezug, die seit der wilhelminischen Zeit vor allem in völkisch-religiösen Gruppierungen verbreitet waren, aber über dieses Milieu selten hinauswirkten.

Eine gewisse Vertrautheit mit der Geschichte der politischen Symbolik vorausgesetzt, wäre dieser Lapsus leicht zu vermeiden gewesen. Aber leider handelt es sich nicht um eine isolierte Fehlleistung. Es geht um ein Symptom. Denn die Ausstellung des DHM verfolgt entgegen ihrem Anspruch keine aufklärerische, sondern eine agitatorische Absicht. Den mit großem Aufwand angefertigten Fototafeln und deren Beschriftung, aber auch den Textbeiträgen des Katalogs ist deutlich zu entnehmen, daß die Beteiligten der Materie nicht nur mehr oder weniger fremd gegenüberstehen, sondern sich auch für deren Bedeutung kaum interessieren.

Der Vorwurf trifft nicht Wolfgang Haney, aus dessen Privatsammlung die Masse der Exponate stammt, aber ganz sicher diejenigen, die die wissenschaftliche Verantwortung tragen. Denn in ihrem Eifer, eine direkte Verbindungslinie zwischen Antisemiten des Kaiserreichs, der NS-Bewegung, den rechtsextremen Gruppierungen der Nachkriegszeit und den Identitären, Zuwanderungs- und Islamkritikern der Gegenwart zu ziehen, blieb ihnen offenbar nicht genügend Zeit und Energie, um die Analyse des Materials so voranzutreiben, wie das eigentlich notwendig wäre.

Stattdessen hat man sich der bereitwilligen Unterstützung der Antifa und von Leuten bedient, die das semiprofessionelle Abreißen von Aufklebern als Ausweis ihrer Zivilcourage ansehen. Auf die Frage jedenfalls, in welchem historischen Kontext die ausgestellten Propagandamittel stehen, welcher Bezug zu den zeitgleich an Bedeutung gewinnenden Formaten – Bildpostkarte, Bildplakat, Bildzeitung – vorhanden ist, wurde kein Gedanke verschwendet, sowenig wie auf die Klärung des Sachverhalts, daß die Masse der heute präsenten Aufkleber ganz eindeutig von linker/linksradikaler/linksextremer Seite kommt und deren Vorhandensein schon als so selbstverständlich gilt, daß weder die das eigene Volk betreffende Verhetzung noch die Verherrlichung von Massenmördern, totalitären Systemen oder die Verbreitung von Symbolen, unter denen Millionen zugrunde gegangen sind, irgendwelche Aufmerksamkeit auslöst oder gar skandalisiert werden kann.

Das Fazit lautet insofern: Als Materialsammlung nicht uninteressant, als Ausstellung ein Fehlschlag, das Thema verschenkt.

Die Ausstellung „Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“ ist bis zum 31. Juli im Deutschen Historischen Museum Berlin, Unter den Linden 2, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 203 04 - 0

Der Katalog (kart., 260 Seiten, 9,90 Euro) ist nur wegen des Abbildungsmaterials, das zum Teil sehr selten gezeigte Stücke umfaßt, von Interesse.

 www.dhm.de