© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Neue Konfliktquellen
Erdkabelvorrang soll Stromtrassen voranbringen
Dieter Menke

Mit 0,19 Cent pro Kilowattstunde fing es im Jahr 2000 an – in diesem Jahr sind es 6,354 Cent und voraussichtlich 23,1 Milliarden Euro, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) umverteilt werden: von den Stromkunden hin zu den Betreibern von Windrädern, Solar- oder Biogas-Anlagen, deren Stromerzeugung damit subventioniert wird. Das EEG 2016 soll den Preisanstieg dämpfen: „Mehr Wettbewerb, ein kontinuierlicher Ausbau mit effektiver Steuerung, Begrenzung der Kosten, Akteursvielfalt und Verzahnung mit dem Netzausbau – das sind die Koordinaten für die nächste Phase der Energiewende“, verkündete vorige Woche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

Und „beim jetzt dringend notwendigen Netzausbau wird der Vorrang für Erdkabel nicht als Bremsklotz, sondern als Eisbrecher wirken“, so der SPD-Chef. Bereits 2015 wurde hierzu das Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) geändert. Der neue „Erdkabelvorrang“ soll Bürgerprotesten gegen Freileitungen den Wind aus den Segeln nehmen. Das BBPlG schreibt jetzt vor, nicht nur wie bisher bei effizienten Teilstrecken „unter Umständen“ Stromautobahnen im Erdreich anzulegen, sondern räumt der Erdverkabelung Priorität ein, um so die Akzeptanz zu heben. Die weiterhin unumgänglichen überirdischen Höchstspannungsleitungen sind wegen elektromagnetischer Felder, Vogelkollisionen und Landschaftsverschandelung verrufen.

Tatsächlich, so schätzt Frank Scholles vom Institut für Umweltplanung der Uni Hannover die Stimmung ein (UVP-Report, 1/16), stehe aber nur fest, daß Gemeinden, trotz langer Bauzeit und breiter Trassen für Erdkabel der Höchstspannung und ungeachtet notorischer Bodenbelastungen, Unterflurversiegelung und Störung des Grundwasserhaushalts, solcher Umsetzung der Energiewende positiver gegenüberstünden als Freileitungen. Von deeskalierenden Effekten der BBPlG-Änderung in den Kommunen, in deren Nähe „zumutbare“ Freileitungen geplant sind, ist bislang hingegen nichts bekannt.

Sicher ist jedoch, wie Scholles ausführt, daß die im Technokraten-Deutsch so getauften „Höchstspannungsgleichstromübertragungsvorhaben“ (HGÜ), bei denen der Erdkabelvorrang demnächst zum Tragen kommt, auch jenseits ökologisch bedenklicher Bodenbelastungen konfliktträchtig genug sind. Unproblematisch sei nur die kürzeste Strecke entlang der belgischen Grenze.

Mittelgebirge sind ein „schwieriges Gelände“

Anders die Suedlink-Windstromleitung zwischen Brunsbüttel bei Hamburg und Großgartach bei Heilbronn, bei der das Mittelgebirge ein für Erdkabel „schwieriges Gelände“ ist und wo viele Natura-2000-Gebiete, Böschungen und Brücken in Kasseler Bergen eher für Freileitungen sprechen. Zwischen Emden-Ost und Osterrath führe der kürzeste Weg über niederländisches Territorium, was unrealistisch sei. Zudem stünden diverse Moore der Erdverkabelung im Weg. Daher gilt: „Hier ist insgesamt alles offen.“ Auf der Süd-Ost-Passage zwischen Wolmirstedt und Isar käme es, wenn gradlinig durch Fichtelgebirge und Thüringer Wald trassiert würde, zu ähnlichen Schwierigkeiten wie für den Suedlink. 

Scholles’ Fazit lautet: Insgesamt sei mit weniger Erdkabelkilometern zu rechnen, als es auf den ersten Blick nach der Gesetzesnovelle scheinen mag, sicherlich aber mit neuen Konfliktquellen, die die Beschleunigung in Frage stellen können.

Gesetzentwurf EEG 2016:  bmwi.de/