© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Mehr streßtolerante Sorten und Windschutzhecken
Dem Klimawandel trotzen: Ein optimistischer Ausblick auf die Entwicklung der Thüringer Landwirtschaft
Christoph Keller

Das diejährige Frühjahr, mit sintflutartigen Regenfällen in weiten Teilen Deutschlands, im April anhaltender Trockenheit und dann Stürmen im Norden, scheint das diffuse Empfinden zu bestätigen, das Wetter gerate „immer mehr durcheinander“. Die drei Agrar­ökologen – Wilfried Mirschel, Kurt-Christian Kersebaum und Claas Nendel – vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) und der Agrar­ingenieur Christian Guddat (Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft/TLL) können ihren populär so artikulierten Befund wissenschaftlich präziser auf den Punkt bringen, was sie in ihrem Aufsatz über „Klimawandel und Pflanzenbau – dargestellt am Beispiel Thüringen“ (Geographische Rundschau, 3/16) auch tun.

„Durcheinander“ ist das Wetter demnach, weil Extremereignisse wie in diesem Frühjahr infolge globaler Temperaturerhöhung zur Regel werden. Daten vom Potsdamer Telegrafenberg, der weltweit einzigen meteorologischen Station mit einem mehr als hundert Jahre umfassenden Meßprogramm, sprechen eine deutliche Sprache: Zwischen 1893 und 2014 nahm die Jahresmitteltemperatur um 1,15 Grad Celsius zu. Damit ging einher – allerdings regional unterschiedlich – die Abnahme der Eis- und Frosttage und eine Zunahme der heißen Sommertage. Seit den 1990er Jahren schlägt sich dies in der Ertragsentwicklung der wichtigsten deutschen Kulturpflanze nieder: Der Winterweizen, dessen Erträge seit 1960 stetig zunahmen, weist inzwischen von Jahr zu Jahr eine höhere Variabilität auf.

Künftig zwei Ernten jährlich?

Den vom Weltklimarat (IPCC) für Mitteleuropa gestellten Prognosen zufolge, die bis 2050 mit einem Temperatur­anstieg bis zu zwei Grad, bis 2100 sogar bis zu 4,5 Grad kalkulieren, dürfte sich die Vegetationsdauer um fast zwei Monate verlängern, so daß deutsche Landwirte die Chance bekämen – wenn nicht der Trend zu rückläufigen Niederschlägen dies verhindert –, jährlich statt nur einer zwei Kulturen anzubauen.

Der Einfluß globaler Klimaänderungen auf agrarische Ökosysteme falle jedoch regional sehr unterschiedlich aus. Basierend auf einem Zirkulationsmodell des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M) eröffnen die Verfasser den Landwirten des Freistaates Thüringen daher überraschend günstige Aussichten mindestens bis 2050. Wobei die Aussagen unter dem Vorbehalt stehen, daß sie sich angesichts des breiten Spektrums agrarisch genutzter Böden hinsichtlich Höhenlage, Flächenneigung und Bodenqualität nicht generalisieren lassen.

So befinden sich die fruchtbarsten Böden im Altenburger Land und im Thüringer Becken, aber nicht immer seien die Temperatur- und Niederschlagsbedingungen dort so, daß das bodenseitig vorhandene Ertragspotential auch voll ausgeschöpft werde. Im Thüringer Becken fehle es heute schon bei relativ hohen Temperaturen in der Vegetationsperiode an den nötigen Niederschlagsmengen für eine optimale Versorgung der Feldbestände.

Im Mittel würden sich bis 2050 die Erträge der Hauptfruchtarten Winterweizen, Winter- und Sommergerste, Winterraps und Silomais klimabedingt also verringern, während das Anbaurisiko zunehme. Um rechtzeitig einem derartig desas­trösen Prozeß entgegenzuwirken, biete der gegenwärtige Stand von Forschung, Züchtung und Technik jedoch alle nötigen Mittel, dem Klimawandel zu trotzten. Im Mittelpunkt stehe dabei die Verbesserung des Bodens als „Hauptproduktionsmittel“. Durch organische Düngung, Zwischenfruchtbau und schonendere Bearbeitung lasse sich der Humusgehalt der Böden stabilisieren und ein hohes Niveau der Nährstoffversorgung nachhaltig sichern.

Genauso wichtig sei die Stabilisierung des landschaftlichen Wasserhaushalts. Ingenieurstechnische, aber auch in die Landschaftsstruktur eingreifende Maßnahmen wie die Anlage von Windschutzhecken würden die Pflanzenwasserversorgung verbessern. Und einen „sehr bedeutenden Anteil“ übernehme die Pflanzenzüchtung durch Bereitstellung neuer, streßtoleranter und physiologisch flexibler Sorten. Aufgrund dieser Kombination primär nicht gewinnmaximierender, aber nachhaltiger Maßnahmen sollten Thüringer Landwirte optimistisch in die Zukunft blicken dürfen.

Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung: zalf.de