© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Haftungsgemeinschaft
Eurokrise: Das Bundesverfassungsgericht erlaubt Ankauf von Staatsanleihen
Dirk Meyer

Das vierblättrige Kleeblatt ist komplett. Mit seinem Urteil zum Outright Monetary Transactions-Programm (OMT) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun einen weiteren wichtigen Entscheid zur ausufernden Praxis des EU-Vertrages und der Rettungspolitik gefällt. Gemäß dem Grundsatz, keine Blockade von EU-Initiativen und Bestrebungen der Mitgliedstaaten zu errichten, aber Leitplanken gegen einen offenen Vertragsbruch zu setzen, hat das oberste deutsche Gericht bereits drei Urteile zur europäischen Integration gesprochen: das Lissabon-Urteil (2009), das Urteil zur Griechenland-Hilfe I und dem Euro-Rettungsschirm (2011) sowie das Urteil zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (2014).

In allen Fällen mußten die deutschen Übernahmegesetze geändert werden, sprich: Es wurden Verfassungsmängel festgestellt. Drei Prüfkriterien legte das BVerfG auch beim OMT-Programm der EZB an: Wird das Demokratiegebot beachtet (Art. 38 Abs. 1 GG/Art. 23 Abs. 1 GG)? Wurden entsprechende Kompetenzen an die europäische Ebene abgetreten (Art. 79 Abs. 3 GG)? Umgekehrt: Eine Selbstermächtigung europäischer Institutionen durch die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz an den europäischen Staatenbund muß ausgeschlossen bleiben.

Um was ging es konkret? Am 26. Juli 2012 erklärte Mario Draghi: „Die EZB wird alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird ausreichen“, so der Zentralbankpräsident. Wenig später nahm das OMT-Programm Konturen an. Im Krisenfall sollen die EZB und die nationalen Zentralbanken des Eurosystems Staatsanleihen ausgewählter Mitgliedstaaten in unbegrenzter Höhe ankaufen können. Bislang wurde es noch nicht angewandt. Dies wäre schwierig, denn zwei sich widersprechende Bedingungen wären Voraussetzung: Der Euro-Krisenstaat muß ein ESM-Auflagenprogramm erfüllen und zugleich Zugang zum Anleihemarkt haben. Allenfalls ein Vorsorgeprogramm des ESM mit einer vorbeugenden Kreditlinie ließe dies zu.

In seinem Urteil vom 7. Februar 2014 erkennt das BVerfG eine klare Kompetenzüberschreitung (Ultra-vires-Akt): Zum einen sieht es einen Verstoß gegen das währungspolitische Mandat der EZB, zum anderen einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. So widerspreche der selektive Ankauf von Staatsanleihen einer einheitlichen Geldpolitik. Die beabsichtigte Zinssenkung sei eine eigenständige Wirtschaftspolitik, die der EZB nicht zustehe. Die Bereitschaft, unbegrenzt Anleihen kaufen zu wollen, sei an die Marktteilnehmer ein Signal zur Risikoübernahme. Die damit verbundene Sicherung der Staatsfinanzierung käme einem Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 Abs. 1 AEUV) gleich. Ergebnis: Das OMT-Programm ist mit dem Primärrecht unvereinbar. Allerdings sei eine andere Beurteilung bei primärrechtskonformer Auslegung des OMT-Beschlusses möglich, wenn dabei spezielle Bedingungen erfüllt würden: Ausschluß eines Schuldenschnitts, Begrenzung auf kurzlaufende Anleihen mit einer Restlaufzeit von zwei Jahren, eine Sperrfrist zwischen Emission und Ankauf, Vermeidung von Eingriffen in die Preisbildung. Dies war ein Brückenbau zum Europäischen Gerichtshof (EuGH), dem das BVerfG erstmalig in einem Verfahren ein Vorabentscheidungsgesuch vorlegte.

Das EuGH-Urteil fiel kurz und knapp aus: Es bestünden keinerlei Einwände; mit dem Anleihenankauf würde vielmehr eine einheitlich wirkende Geldpolitik durchgesetzt. Die Renditeaufschläge seien ungerechtfertigt. Sie würden auf Gefahren eines Auseinanderbrechens der Währungsunion beruhen, die von den Marktteilnehmern eingepreist werden. Juristisch heikel ist die Aussage, die EZB habe die besseren Informationen und würde sich die Ziele selbst stecken. In der mündlichen BVerfG-Verhandlung vom 14. Februar 2016 zeigten sich die unüberbrückbaren Anschauungen deutlich: Während Deutschland die Übertragung seiner Währungssouveränität 1999 auf die EU an die Bedingung einer (Geldwert-)Stabilitätsgemeinschaft geknüpft hat, betont der luxemburgische EZB-Direktor Yves Mersch die Stabilität des Euroraums. Diese sei gefährdet, wenn die Anleger „unbegründete Ängste“ um die Unumkehrbarkeit des Euros hätten und deshalb Risikoaufschläge für Anleihen kalkulierten.

Mit entwaffnender Deutlichkeit formuliert Mersch: „Eine Währungsunion ist eine Haftungsgemeinschaft.“ Richtig: Bei Ausfall haften die Mitgliedstaaten anteilig entsprechend ihrem Kapitalanteil (Basis: Bevölkerung/BIP). Und gerade deshalb ist das OMT-Programm keine Währungspolitik, sondern eine Krisenstaaten unterstützende Fiskalpolitik. In seinem Urteil vom Dienstag (2 BvR 2728/13, 2 BvR 2729/13 etc.) beugt sich das BVerfG den EuGH-Vorgaben. Zugleich äußert es Bedenken und versucht eine Einhegung, indem es an die Durchführung Bedingungen stellt: keine Vorankündigung der Ankäufe; Begrenzung des Ankaufvolumens im voraus; hinreichende Frist zwischen Ausgabe der Anleihe und Ankauf, um eine monetäre Staatsfinanzierung auszuschließen; der Krisenstaat muß sich noch am Markt refinanzieren können, so daß Griechenland derzeit nicht in Frage kommt – und Verkauf der Anleihen, wenn eine hinreichende Stabilisierung erfolgt ist.

Für Andreas Voßkuhle, Präsident des BVerfG, ist die „europäische Rechtsgemeinschaft“ aus diesem Verfahren „gestärkt hervorgegangen“. Ob die durch das Urteil gesetzten Leitplanken ein Durchbrechen des Regelwerkes und einen Totalschaden des Eurosystems verhindern werden?






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.