© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Im Hauruckverfahren läuft’s nicht mehr
Unterbringung von Asylbewerbern: In Hamburg unterzeichneten Senat und Bürgerinitiativen einen Vertrag, mit dem der Zuzug begrenzt werden soll
Michael Johnschwager

Die Gespräche zwischen dem Hamburger Senat und dem „Dachverband für gute Integration“ von Asylbewerbern ließen die Wogen in der Hansestadt an der Elbe über ein Dreivierteljahr lang hochschlagen. Mit insgesamt acht Bürgerinitiativen hatten Anwohner des südlich der Elbe gelegenen Stadtteils Neugraben-Fischbek vernehmlich ihre Stimme erhoben. 4.000 Flüchtlinge sollten dort nach Senatsplänen unterkommen. 

Nun hat man sich auf eine Höchstgrenze von 1.500 bis 2018 verständigt. Aber den Initiatoren des Bürgerprotests ist es darüber hinaus gelungen, das kreative Potential des Senats immens zu stimulieren. Alteingesessene und Neuankömmlinge sollen künftig gemeinsam von mehr Sicherheit durch verstärkte Polizeipräsenz profitieren. Vereinbart wurde außerdem der Zugang zu mehr Arztpraxen, die Belegung an Schulen soll unter dem Aspekt einer ausgewogenen Durchmischung erfolgen, die Kita-Betreuung wird dementsprechend ausgebaut. Ebenso der öffentliche Personennahverkehr (S-Bahn), damit die Innenstadt besser zu erreichen ist.

 Mit dem am vergangenen Mittwoch im Rathaus unterzeichneten Bürgervertrag endet das zähe Ringen vorerst mit einer Übereinkunft. Ein befreit wirkender Erster Bürgermeister Olaf Scholz  (SPD) lächelt in die Kameras der zahlreichen Pressevertreter: „Ich bin darüber sehr froh. Und will ausdrücklich deshalb zu Anfang sagen, daß es gut ist, daß alle sich soviel Zeit genommen haben.“ 

Sichtlich erleichtert ist auch SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Er findet für den in den vergangenen Wochen erbittert ausgefochtenen Kompromiß gewohnt gönnerhaft die erkenntnisreiche Formel: Natürlich haben wir alle gelernt. Dazu wurde ihm und seinen Genossen an der Seite des grünen Koalitionspartners Nachhilfe der besonderen Art zuteil. Die im Dachverband einmütig und koordiniert agierenden acht Initiativen ließen zu keinem Zeitpunkt Zweifel aufkommen, sich den ursprünglich geplanten Großunterkünften des Senats vehement in den Weg zu stellen. 

Unter Führung des umtriebigen und bestens vernetzten Klaus Schomacker (JF 11/16 und JF 17/16) erschienen die Verbandsvertreter am 2. März 2016 im Rathaus, unterm Arm medienwirksam grüne Ordner mit roter Schleife. Darin mehr als die erforderlichen 26.000 Unterschriften für eine Volksinitiative. In Hamburgs rot-grüner Regierung schrillten die Alarmglocken. Zuvor hatte die Koalition in selbstherrlicher Manier ein im Raume stehendes Bürgerbegehren gestoppt. Auf dieses Weise mit der Realität konfrontiert, zeigte sich der Senat nun gesprächsbereit. Der anfangs recht selbstherrlich auftretende Dressel agierte plötzlich auffallend handzahm. 

Denn mit ihrer halsstarrigen Herangehensweise, die Anwohner mit dem Bau von Großunterkünften (Expreß-Wohnungen) im Hauruckverfahren zu überrumpeln, hätten die Regierenden unweigerlich einen Volksentscheid heraufbeschworen. Und den fürchten SPD und Grüne gleichermaßen wie der Teufel das Weihwasser.

Von den umstrittenen Expreß-Bauten mag der Senat jedoch nicht lassen, auch wenn er deren Zahl von den ursprünglich geplanten 20.000 Einheiten auf 12.000 senken will. Aber hier macht er die Rechnung ohne Schomacker. Der fordert unnachgiebig einen Politikwechsel und argumentiert: „Die Expreß-Bauten waren vorher nicht sinnvoll und vorher nicht notwendig. Jetzt kann man, wenn man so will, von den Zahlen her nachweisen, daß sie völlig überflüssig sind.“ Er plädiert nach wie vor für eine Unterbringung der Asylanten und Flüchtlinge in regulären Wohnungen. 

Ein knappes Jahr nach Einsetzen der sogenannten Flüchtlingswelle geht man auf Regierungsseite von 30.000 Einwanderern bis Ende 2017 aus. Dafür stehen angeblich Plätze in ausreichender Zahl in 14 Erstaufnahmeeinrichtungen zur Verfügung. Seitens der Verwaltung konzentriert man die Anstrengungen darauf, mehr Plätze in Folgeunterbringungseinrichtungen zu schaffen. 

Unterdessen sind zwei Erstaufnahmen allerdings in die Schlagzeilen geraten, deren Rückbau man eigentlich rasch umsetzen wollte. Trotz der dort herrschenden und in die Kritik geratenen Zustände ist damit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. So müssen in der Erstaufnahme im Stadtteil Ohlstedt die Ankömmlinge weiterhin mit Zelten vorlieb nehmen; ähnlich prekär nehmen sich die Einraum-Holzhütten im Stadtteil Jenfeld aus. Bereits die Errichtung der Hütten sorgte dort für Unmut, so  daß die Anwohner dagegen aufbegehrten und kurzzeitig den Platz besetzten. Sie waren bis zuletzt im unklaren über die ergangene Entscheidung gelassen worden, der Senat hatte ihnen die gravierenden Veränderungen nicht mitgeteilt. 

Der nun unterzeichnete Bürgervertrag wird auch als Abkehr von solchem Verhalten gewertet.